Die Welt, 26.10.2000

Clinton nimmt neuen Anlauf für Nahost-Frieden

Gespräche zwischen Barak und Arafat im Weißen Haus? - Neue Zusammenstöße im Gazastreifen und im Westjordanland

Washington- US-Präsident Bill Clinton hat einen neuen Anlauf unternommen, die Lage im Nahen Osten zu entspannen: Das Präsidialamt teilte am Dienstag mit, Clinton erwäge Gespräche mit Palästinenser-Präsident Jassir Arafat und Israels Ministerpräsident Ehud Barak in Washington. Er habe Arafat zudem gedrängt, die Vereinbarung des Gipfels von Scharm el Scheich einzuhalten. Auf dem Gipfel hatten beide Konfliktparteien ein Ende der Gewalt zugesagt. Barak erwiderte Clinton nach Angaben von Diplomaten, vor einem Treffen müsse Arafat für ein Ende der Kämpfe sorgen, denen mittlerweile schon mehr als 130 Menschen zum Opfer gefallen sind. Arafat hat sich derweil am Dienstagabend mit einem Gesandten Baraks getroffen. Das Gespräch zwischen Arafat und Jossi Ginossar sei auf Wunsch Baraks zu Stande gekommen und habe zwei Stunden gedauert, sagte ein Mitarbeiter Arafats am Mittwoch in Gaza. Zum Inhalt des Gesprächs machte er aber keine Angaben. Zeitweise habe auch der Sicherheitschef der Palästinenser im Gazastreifen, Mohammed Dalahn, daran teilgenommen.

Ginossar ist der ehemalige Vizechef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Beth. Der Geschäftsmann hat in den vergangenen Jahren engen Kontakt zu Arafat geknüpft und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und der Palästinenserbehörde zum Teil überwacht. Er ist seit dem Amtsantritt Baraks im vergangenen Sommer mehrmals als Sondergesandter des Ministerpräsidenten mit Arafat zusammengetroffen. Die palästinensische Autonomiebehörde wollte das Treffen offenbar verheimlichen, ein Vertreter hatte es zunächst bestritten. Der israelische Rundfunk hatte das Gespräch bekannt gegeben.

Barak bat unterdessen nach Angaben seines Büros auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den britischen Premierminister Tony Blair darum, ihren Einfluss auf Arafat zu nutzen und ihn zu einer Beendigung der Gewalt zu drängen. Russland ist mit den USA Schirmherr der 1993 aufgenommenen Friedensverhandlungen, die seit Beginn der Unruhen vollständig unterbrochen sind. Die Auseinandersetzungen in den Palästinenser-Gebieten gingen derweil mit unverminderter Härte weiter. Am Dienstagabend schossen israelische Panzer in die Ortschaft El Bireh im Westjordanland und zerstörten dabei ein Gebäude. Es sei zuvor von Palästinensern benutzt worden, die die jüdische Siedlung Psagot angegriffen hätten, hieß es. Im Gazastreifen explodierte am Mittwoch nach Armeeangaben eine Bombe in der Nähe einer israelischen Militärkolonne. Außerdem seien, vermutlich von Palästinensern, Schüsse auf die Soldaten abgegeben worden. Verletzt wurde dabei offenbar niemand.

Mit einem Protestmarsch wurde im Gazastreifen ein 16-Jähriger zu Grabe getragen, der am Vortag bei den Auseinandersetzungen getötet worden war. Israelische Generäle und palästinensische Sicherheitschefs kündigten noch für den Mittwoch ein Treffen an. Solche Treffen fanden seit dem Ausbruch der Gewalt am 28. September bereits mehrfach statt; zu einer Entspannung der Lage trugen sie bislang jedoch kaum bei.

Die USA haben aus Furcht vor Terroranschlägen ihre Bürger vor Reisen nach Israel und in das Westjordanland gewarnt. Das US-Außenministerium sprach von einer erhöhten Bedrohung durch Terroristen. Die US-Einheiten am Golf waren bereits zuvor wegen der Gefahr von Terroranschlägen in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Bei einem Selbstmordanschlag auf das US-Kriegsschiff "Cole" im Hafen der jemenitischen Stadt Aden waren am 12. Oktober insgesamt 17 Besatzungsmitglieder getötet und 30 weitere verletzt worden.

Im Bemühen um einen innenpolitischen Konsens setzt sich Barak weiterhin für eine Regierung der nationalen Einheit ein. Der von Barak umworbene Chef der rechtskonservativen Likud-Opposition, Ariel Scharon, verlangte im Fernsehen von Barak, er sollte Teile des Westjordanlandes in Israel eingliedern, falls Arafat einseitig einen Palästinenser-Staat ausrufe. Barak denkt inzwischen über eine stärkere Trennung zwischen Israel und den Palästinenser-Gebieten nach.rtr/AFP

Schröder will im Nahen Osten keine eigene Vermittlerrolle übernehmen

Berlin - Die Bundesregierung ist Erwartungen entgegengetreten, Deutschland könne im Nahen Osten eine "Vermittlerrolle" übernehmen. In Berliner Regierungskreisen hieß es, Bundeskanzler Gerhard Schröder wolle mit seiner bevorstehenden Reise in die Krisenregion zunächst eine "unterstützende Rolle" für die internationalen Friedensbemühungen übernehmen. Es gebe keine "deutsche" Nahost-Politik, sondern nur eine "europäische". Jüngst war von mehreren arabischen Staaten die Hoffnung an Deutschland herangetragen worden, zur Entspannung der schweren Krise zwischen Israelis und Palästinensern beitragen zu können. Nach der jetzigen Planung will der Kanzler ab Samstag Ägypten, den Libanon, Jordanien, Syrien, Israel und die palästinensischen Gebiete besuchen.

Allerdings habe der Kanzler noch bis in die letzten Tage überlegt, ob er überhaupt die Reise in dieses "diplomatische Minenfeld" antreten wolle, hieß es in der Bundesregierung. Letztlich aber wolle sich Deutschland seiner Verantwortung stellen und ein "Signal der Solidarität" an diejenigen aussenden, die am Friedensprozess festhielten. Eine Verschiebung der Reise hätte signalisiert, dass Berlin nicht an eine Verständigung in der Region glaube. Deutschland aber "lässt die Region nicht im Stich".

Nicht zuletzt hätten die Nahost-Staaten in den vergangenen Tagen "mit Nachdruck" den Besuch des Kanzlers gewünscht. Wie es hieß, hat sich Schröder eng mit der französischen Ratspräsidentschaft der EU sowie den USA abgestimmt, damit sich die Reise "nahtlos in die Architektur der internationalen Friedensbemühungen einfügt".

Allerdings wolle Schröder auch persönlich Einblick in die jeweiligen Einflussmöglichkeiten der Parteien - insbesondere auf der palästinensischen Seite - nehmen, um die Verhandlungschancen besser einschätzen zu können. Zu der Frage, ob Berlin helfen könne, im Libanon gefangene israelische Soldaten zu befreien, hieß es mehrdeutig: "Kein Kommentar."MJI