junge Welt, 24.10.2000

Interview

Welche Rolle spielt die UNO im Nahost-Konflikt?

jW sprach mit Eberhard Brecht (SPD), Vorsitzender des Unterausschusses UN im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages

F: Sowohl die UN-Vollversammlung als auch die UN- Menschenrechtskommission haben in der vergangenen Woche das Vorgehen der israelischen Armee verurteilt. Wie hat Deutschland votiert?

Das weiß ich nicht. Es ist aber auch relativ unerheblich, weil bei diesen Hunderten von Resolutionen, die durch die Generalversammlung laufen, das Abstimmungsverhalten nicht entscheidet. In der Vergangenheit hat sich die Bundesrepublik Deutschland bei solchen Abstimmungen aber enthalten. Sie hat sich aus der historischen Belastung so verhalten, aber auch, um deutlich zu machen, daß Israel in der Pflicht ist, um über seinen Schatten zu springen und für eine Bewahrung des Friedens zu sorgen.

F: Denken Sie, daß das Vorgehen der israelischen Armee verurteilt werden sollte?

Die israelische Armee reagiert mit einer gewissen Härte auf die Intifada. Dies ist sicherlich nicht zu billigen. Umgekehrt muß man auch sagen, daß die palästinensische Seite gut beraten wäre, weitere Konfrontation zu vermeiden. Man kann sich nicht ewig auf den unglückseligen Gang von Scharon auf den Tempelberg berufen, sondern man muß irgendwann zu einem Gespräch bereit sein.

F: Aber es war der israelische Ministerpräsident Ehud Barak, der den Friedensprozeß ausgesetzt hat.

Das ist die jüngste Nachricht. Für Barak ist es vermutlich schwierig, in seinem Land zu vermitteln. Seine Hausmacht ist ausgesprochen dünn, weil er keine Mehrheit mehr in der Knesset hat.

F: Die UN-Menschenrechtskommission und die Arabische Liga fordern, internationale Beobachter in die Konfliktzone zu entsenden. Dieses Vorhaben hat Barak aber zurückgewiesen. Ist auch hier innenpolitischer Druck ausschlaggebend?

Ich vermute, Israel folgt hier der alten Formel der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Vielleicht gehen sie von der Voreingenommenheit der Generalversammlung aus und erwarten nur noch eine parteiliche Beobachtung.

F: Anfang September hat in New York der sogenannte Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen stattgefunden, bei dem in pathetischen Reden von vielen Seiten eine Stärkung der UNO gefordert wurde. Stößt die Organisation schon einen Monat später wieder an ihre Grenzen?

Die UNO spielt in diesem Prozeß faktisch keine Rolle. Das muß man nüchtern feststellen. Und ich glaube auch, daß sich in den nächsten Wochen und Monaten für die UNO keine verstärkte Rolle ergeben wird. Sie sehen ja, wer in diesem Konflikt zum Statisten degradiert wird, wenn er sich um eine Vermittlerrolle bemüht. Ob das Javier Solana ist, Jaques Chirac, oder wenn Gerhard Schröder hinreisen würde. Die einzigen, die offensichtlich von beiden Seiten anerkannt werden, sind die Amerikaner. Und ob die Amerikaner zur Zeit sehr erfolgreich sind, wage ich zu bezweifeln.

F: Besteht Ihrer Meinung nach eine Chance, diesen Konflikt unter internationale Beobachtung zu stellen?

Ich sehe dafür keine Chancen.

F: Die Arabische Liga fordert zudem eine Verurteilung von israelischen Kriegsverbrechern durch die UNO. Eine gerechtfertigte Forderung?

Jedes Vorgehen gegen Menschenrechte muß unabhängig vom Ansehen der Person geahndet werden. Wenn es dann zu einem solchen internationalen Tribunal kommen sollte, dann müßte man über alle Menschenrechtsvergehen diskutieren, die auf dem Boden Israels und Palästinas begangen werden. Trotzdem würde ich bezweifeln, daß es angesichts der Größenordnung der Auseinandersetzungen zur Arbeitsaufnahme eines solchen Tribunals kommt.

F: Eine Strafverfolgung wäre also nicht durchsetzbar?

Aus meiner Sicht nicht.

Interview: Harald Neuber