Süddeutsche Zeitung, 24.10.2000

Das Drei-Säulen-Modell gefällt allen

Die kleineren Parteien zeigen erstaunliche Übereinstimmungen bei ihren Ideen zur Ausländerpolitik - Asylrecht darf nicht angetastet werden

Die kleineren Parteien haben zum Teil überraschend ähnliche Vorstellungen zur Einwanderungspolitik. Für die Grünen ist sie eines ihrer Hauptthemen. Sie vertreten - genauso wie die FDP - ein Drei-Säulen-Modell, das zwischen Asylbewerbern, Kriegsflüchtlingen und Wirtschafts-Einwanderern unterscheidet. Die PDS ist in ihrer Entscheidungsfindung noch nicht so weit, betont aber vor allem, dass es nicht nur um die Nützlichkeit von Ausländern gehen könne.

FDP

1. In der FDP herrscht eine Haltung vor, die man mit "Wir haben es ja gleich gesagt" zusammenfassen könnte. Schon in der letzten Legislaturperiode war Einwanderung ein Streitthema zwischen den damaligen Koalitionspartnern Union und FDP gewesen. "Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz so schnell wie möglich", sagt der stellvertretende Parteivorsitzende Rainer Brüderle. Die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wirft der Union vor, "Einwanderung nach wie vor unter dem Gesichtspunkt der Schädlichkeit zu betrachten: "Das ist unverantwortlich." Entgegen der damaligen Koalitionsvereinbarung habe sich die Union bis 1998 "geweigert, mit uns ernsthaft darüber zu verhandeln".

2. Die Liberalen wollen durch eine unabhängige Kommission jährliche Einwanderungsquoten festsetzen lassen. Dieser Kommission sollen unter anderem Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, von Bundestag und Bundesrat sowie "gesellschaftlicher Gruppen und der Kirchen" angehören. Eine Obergrenze lasse sich nicht vorab festlegen. Diese Kommission - so Leutheusser-Schnarrenberger - soll gezielt die Einwanderer aussuchen.

3. und 4. Wie der Umgang mit Asylbewerbern soll auch die Aufnahme von Flüchtlingen unberührt von Einwanderungsquoten bleiben. Brüderle: "Wenn wir Menschen, die vom Tod bedroht sind, hier aufnehmen, hat das mit dem Rechtscharakter einer gesteuerten Zuwanderung nichts zu tun. Leutheusser-Schnarrenberger lehnt eine erneute Änderung des Asylartikels im Grundgesetz strikt ab. Auch nach den Vorstellungen der FDP steht die Ausländerpolitik auf drei Säulen: dem Asylrecht, das erhalten bleiben soll, der humanitären Flüchtlingspolitik, die vom Bedarf ausgeht, und der gezielten Einwanderung nach wirtschaftlichen und politischen Kriterien.

5. Zunächst sei eine nationale Steuerung der Zuwanderung erforderlich, doch stehe dies, so Brüderle, "einer langfristigen europäischen Regelung nicht entgegen". In Deutschland aber dränge die Zeit, und "die Erfahrung lehrt: In Europa dauert manches etwas länger.

PDS

1. "Deutschland ist ein Einwanderungsland, und das ist gut so", sagt die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer. Dazu müsse sich die Bundesrepublik bekennen. Die PDS hat sich bisher nicht entschieden, ob es ein völlig neues Einwanderungsgesetz geben muss oder ob Änderungen am bestehenden Ausländerrecht reichen.

2. Unbestimmt äußert sich die PDS zu möglichen Obergrenzen und Zuzugsquoten. Erst müsse das Recht auf Einwanderung festgeschrieben werden, irgendwelche Quoten seien nachrangig.

3. Auch bei der Frage nach dem Zusammenspiel von Asylbewerberzahlen, Bürgerkriegsflüchtlingen und Green-Card-Ausländern gibt es keine klaren Aussagen bei der PDS.

4. "Die Nützlichkeitsdebatte kann nicht im Vordergrund stehen", sagt PDS-Chefin Zimmer. "Es ist antihuman, nur die angeblich nützlichen Ausländer zu rufen und die angeblich unnützlichen Ausländer abzuwimmeln. Die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen - das kann nicht der Weg sein. Klare Position bezieht die linke Partei in der Asyldebatte: "Es darf keine Abstriche am Asylrecht geben", sagt Zimmer.

GRÜNE

1. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Cem Özdemir, und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Kerstin Müller, sind zuversichtlich, dass noch in dieser Legislaturperiode eine Regelung zum Thema Einwanderung getroffen werden kann. Die beiden Politiker arbeiten bereits mit anderen Parteikollegen an einem Positionspapier für ein Einwanderungsgesetz. Müller betont, dass ein solches Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollte, damit das Thema Zuwanderung nicht im Wahlkampf missbraucht werden kann.

2. Die Grünen-Politiker fordern flexible Quoten und schlagen vor, die Zahl der Einwanderer entsprechend dem wirtschaftlichen Bedarf alle ein oder zwei Jahre festzusetzen. Eine starre Quote habe sich nicht bewährt, darin sei man sich auch mit Vertretern der Wirtschaft einig. Die Aufnahme von Flüchtlingen solle mit den EU-Partnern abgestimmt werden.

3. Das Asylrecht muss nach Ansicht der Grünen unangetastet bleiben und nicht auf ein Gesamtkontingent angerechnet werden. "Politische Verfolgung kann man nicht quotieren", sagt die Fraktionsvorsitzende Müller.

4. Die Grünen halten ihr Drei-Säulen-Konzept der Zuwanderung hoch. Man müsse also zwischen dem wirtschaftlichem Bedarf der Gesellschaft und dem humanitärem Bedarf der Flüchtlinge und Asylbewerber differenzieren.

5. Man dürfe mit der Lösung nicht auf Europa warten, sondern müsse auf nationaler Ebene handeln.

Ruth Ciesinger, Joachim Käppner, Annette Ramelsberger, Susanne Spahn