Aachener Zeitung, 24.10.2000

Protest-Front für Calhan wächst: Erneut große Kundgebung

Aachen. Regelmäßig dienstags werden vom Flughafen Düsseldorf aus kurdische Flüchtlinge in die Türkei abgeschoben. Hüseyin Calhan wird auch morgen nicht dabei sein. Der Presseamtsleiter im Kreis Wesel, Gerhard Patzelt, bestätigte, dass noch kein Flugticket für den 27-Jährigen gebucht worden sei.

Wann Calhan, der seit genau zwei Wochen in der Bürener JVA nur noch Wasser und Tee zu sich nimmt, einer neuerlichen amtsärztlichen Untersuchung unterzogen wird, war gestern bei den Behörden in Wesel und Paderborn nicht zu erfahren. Die «Schutzsphäre des Patienten» lasse eine diesbezügliche Info nicht zu, sagte eine Sprecherin der Kreisbehörden in Paderborn auf AZ-Anfrage.

Der WDR berichtete hingegen, das dortige Gesundheitsamt habe sich geweigert, Calhan zu untersuchen, wenn er seinen Hungerstreik nicht abbreche - was bei Flüchtlingsinitiativen und Kirchen bei einer erneuten großen Kundgebung am Markt auf erbitterte Reaktionen stieß.

Die SPD-Fraktion im Weseler Kreistag hat unterdessen einen Katalog mit nicht weniger als 16 kritischen Fragen zum Vorgehen der Behörden im «Fall Calhan» an die zuständige Landrätin Birgit Amend-Glantschnig (CDU).

Sie will unter anderem wissen, warum die amtsärztliche Untersuchung nicht bereits am Wochenende habe erfolgen können und warum eine «Umverteilung» Calhans nach Aachen nach ersten Darstellungen der Behörden angeblich nicht möglich gewesen sei.

Der stellvertretende Weseler Landrat Hellmut Fischer (SPD) betonte dagegen, dass das örtliche Ausländeramt sich nun aktiv für eine offizielle «Umverteilung des Falls Calhan» an die Stadt Aachen einsetzen wolle. Dies berichtete die Aachener SPD-Ratsfrau Rosa Höller-Radtke.

Nach wie vor erhält der junge Kurde fast täglich Besuch aus dem Grenzland. Eine Betreuerin seiner Landsleute aus der Pfarre St. Germanus berichtete bei einem «politischen Nachtgebet» mit etwa 50 Teilnehmern am Sonntag in der Auferstehungskirche, dass die JVA-Leitung in Büren ihre Gruppe nicht bis zu dem 27-Jährigen vorgelassen habe. Begründung: Es sei zu «Randale» vor der Anstalt gekommen.

Vertreter zahlreicher Initiativen, Geistliche, Künstler und Gewerkschafter setzten sich derweil gestern Abend vor dem Rathaus erneut für eine Freilassung des Aachener Friedenspreisträgers ein. Superintendent Hans-Peter Bruckhoff, sein katholischer Kollege und Regionaldekan Hans-Georg Schornstein, Gerhard Diefenbach, Vorsitzender des Vereins Aachener Friedenspreis, und die bekannte Schauspielerin Waltraud Schink bezogen Stellung gegen die Abschiebepraxis in Deutschland und sprachen sich für eine sofortige Duldung des jungen Kurden aus, der aufgrund seines Hungerstreiks und mangelnder ärztlicher Fürsorge längst in akuter Lebensgefahr schwebe.

Die SPD-Ratsfrau Rosa Höller-Radtke und der PDS-Abgeordnete Andreas Müller forderten, den «Fall Calhan» zum Anlass zu nehmen für eine neue Grundsatzdebatte über den Umgang mit Flüchtlingen schlechthin.