Badische Zeitung, 24.10.2000

Europa und der Nahe Osten: Seit fünf Jahren bemüht sich Brüssel um eine echte Mittelmeerpolitik - mit mäßigem Erfolg

Kein Vermittler, aber ein willkommener Geldgeber

Von unserem Korrespondenten Gerhard de Groot

Stabile Rahmenbedingungen schaffen, die Krisen- und Risikobereitschaft im Nahen Osten vermindern und vor allem den Aufbau einer politischen Zivilisation nach europäischen Mustern fördern: Das sind die Kernideen, mit denen die Europäische Union seit einigen Jahren zur Entschärfung des arabisch-israelischen Konflikts beizutragen hofft. Als Vermittler sind die Europäer zwar beim gegenwärtigen Rückfall aus dem Friedensprozess nicht gefragt. Gern gesehen aber sind sie nach wie vor als Helfer auf dem Weg zu mehr Sicherheit durch mehr Wohlstand. Ein Weg, der fast ebenso steinig ist wie der, den die Nahost-Vermittler bewältigen müssen.

Begonnen hatte das Ganze als "euro-arabischer Dialog" nach Yom-Kippur-Krieg und arabischem Ölboykott. Eine echte Mittelmeerpolitik wurde daraus erst mehr als zwanzig Jahre später. In Barcelona vereinbarte die Europäische Union im November 1995 mit zwölf Mittelmeer-Anrainern eine politische Partnerschaft, die Schaffung einer Freihandelszone bis zum Jahr 2010 und die gegenseitige Achtung von Kulturen und Religionen. Überdies stellte sie mit dem "Meda"-Programm einen Geldtopf bereit, aus dem Aufbau- und Modernierungsprojekte gefördert werden sollen.

Eine richtige Erfolgsgeschichte ist daraus nicht geworden. Der Einfluss Europas auf das Krisenmanagement im Nahen Osten blieb gering, weil Israelis und Palästinenser ganz auf die amerikanischen Vermittlungskünste setzten. Die wirtschaftlichen Kontakte wiederum wuchsen weniger schnell als erhofft. Nur 26 Prozent der Meda-Gelder konnten ausgezahlt werden. Das lag vor allem daran, dass es einen Mangel an glaubwürdigen und ausgereiften Projektvorschlägen gab, wie die EU-Kommission feststellen musste. Spitzenreiter auf der Brüsseler Auszahlungsliste waren Ägypten (von 1995 bis 1999 insgesamt 686 Millionen Euro) und Marokko (656 Millionen). Doch die Regierungen in Kairo und Rabat waren nicht in der Lage, dieses Geld für nutzbringende Zwecke auszugeben. Sie schöpften nur 22,9 beziehungsweise 19,4 Prozent der ihnen zugebilligten Summen ab. Da zeigten sich die Palästinenser in Yassir Arafats Autonomiebehörde effizienter: Sie gaben 48,6 Prozent der für sie bereitgestellten 111 Millionen Euro auch tatsächlich aus, um ihren eigenen Staat aufzubauen. Nur Jordanien und Tunesien erreichten ähnliche Werte.

Im vergangenen Jahr hatten die Außenminister aus EU- und Mittelmeerstaaten in Stuttgart Leitlinien ausgearbeitet, die in einer "Charta für Frieden und Stabilität" zusammengefasst werden sollten. Am 13. November, in drei Wochen, soll diese Charta in Marseille verabschiedet werden. Ob daraus angesichts der neuen Zuspitzung des Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis noch etwas werden kann, ist schwer vorherzusagen. Es geht immerhin um ein gemeinsames Vorgehen bei der Verhütung von Konflikten und bei der Bekämpfung des Terrorismus sowie um ein wirksames Krisenmanagement. Alles Themen, die sehr viel mit der derzeitigen zugespitzten Situation zu tun haben: mit der Gefährdung eines Friedensprozesses, für dessen Absicherung die Europäische Union in den vergangenen fünf Jahren mehr als 424 Millionen Euro ausgegeben hat.

Die Europäer möchten gerade jetzt eine Wiederbelebung des "Barcelona-Prozesses" vorschlagen, obwohl - oder vielleicht auch: gerade weil - die Extremisten und Kriegstreiber im Nahen Osten von Tag zu Tag an Boden gewinnen. Unverdrossen kämpft die Brüsseler Kommission nach dem Motto Wandel durch Handel für ihre Assoziierungsabkommen mit den Arabern. Die Verträge mit Jordanien und Ägypten müssen nur noch ratifiziert werden, mit Syrien, dem Libanon und Algerien wird noch verhandelt.

Die Messlatte hängt hoch, vielleicht zu hoch: Die Araber sollen zu wirtschaftlichen und politischen Reformen bewegt werden, zu mehr regionaler Zusammenarbeit, gar zu einer gemeinsamen Politik auf den Feldern Soziales, Inneres und Recht. Und vor allem sollen sie bereit sein zu einer Liberalisierung ihrer Wirtschaftssysteme.

Das würde den Mustern der Europäischen Union entsprechen und die alten Floskeln von der "einigen arabischen Nation" mit Inhalt auffüllen. Nun sind in Syrien, Jordanien und Marokko neue Männer an die Macht gekommen, die moderner sein wollen als ihre Vorgänger. Ob sie aber gerade jetzt bereit und fähig sind, einen großen Sprung nach vorn zu wagen, ist zweifelhaft.