Frankfurter Rundschau, 24.10.2000

IM BLICKPUNKT

"Kooperation wurde beerdigt"

Palästinenser kampfbereit

Von Inge Günther (Ramallah)

Nicht nur die israelische wie die palästinensische Rhetorik haben sich seit dem gescheiterten Deeskalationsversuch von Scharm-el-Scheich verschärft. Immer mehr rüsten beide Seiten für die nächste Stufe einer gewaltsamen Konfrontation. Wenn Israel den Friedensprozess als beendet betrachte, warnte am Montag der palästinensische Sicherheitsschef Dschibril Raschoub, "werden wir, so wie vor 1993, in den Untergrund gehen." Der letzte Hoffnungsschimmer auf eine Verhandlungslösung hat sich weiter verdüstert, nachdem der israelische Premier Ehud Barak nun alles auf die Karte einer Notstands-Regierung setzt. Eine Beteiligung des rechten Hardliners Ariel Scharon komme, so Raschoub, einem "Desaster" gleich. Zum einen, weil sich in der arabischen Welt mit dem Namen Scharons all das verbindet, was den Hass auf Israel nährt - angefangen von seiner Mitschuld am Massaker von 1982 in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila bis hin zu seinem provokativen Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg, von Moslems als Haram al-Scharif verehrt. Zum anderen aber auch, weil ein Duo Barak/Scharon an Israels Spitze freie Hand hätte, die neue Intifada rein militärisch niederzuschlagen.

Vor allem das Vorhaben Baraks, auf die Unruhen mit einer einseitigen Separation zu reagieren, lässt die Palästinenser Schlimmstes befürchten. Raschoub etwa interpretiert es als Plan für "Annexion und Belagerung". Schon jetzt sollte Israel daher wissen, dass "wir weder die weiße Fahne hissen noch hinnehmen werden, uns aushungern zu lassen". Er jedenfalls, beschied der einflussreiche Chef des größten palästinensischen Geheimdienstes der Westbank in Ramallah auf Reporter-Fragen, könne Barak nur raten, den angekündigten Verhandlungsstopp zu überdenken. In seinem Widerstand sei sich das palästinensische Volk mehr als je einig, von der islamistischen Hamas bis hin zu linken Splittergruppen. "Israelische Kinder werden nicht in Frieden leben, wenn unseren Kindern das gleiche Recht verwehrt wird."

An Sicherheitsabsprachen mit seinen bisherigen israelischen Partnern sieht sich Raschoub ohnehin nicht länger gebunden. "Jede Kooperation" sei am Tage, als Scharon sich Einlass zu den Jerusalemer Moscheen verschafft habe, "beerdigt worden". Ausdrücklich bestritt Raschoub, das beim Krisengipfel in Scharm-el-Scheich eine geheime Abmachung zwischen seiner und der israelischen Sicherheitsbehörde getroffen worden sei. Scharm-el-Scheich habe nichts bewirkt, da man die Ursachen des Konflikts nicht thematisierte: die andauernde israelische Besatzung.

Aus der Sicht Raschoubs wäre eine Befriedung nur möglich, wenn Israel seine Truppen zurückzieht und mit der Evakuierung jüdischer Siedler beginnt. Das freilich wird nicht zu machen sein, sollte künftig Scharon - wohl als Vizepremier - am israelischen Kabinettstisch Platz nehmen. Barak selbst hatte zwar ursprünglich die Idee, im Falle einer "einseitigen Separation" eventuell isolierte Siedlungssprengsel aufzugeben und nur große Siedlungsblöcke als israelisches Hoheitsgebiet zu deklarieren. Doch hat der Likud-Chef klargestellt, dass er nicht bereit ist, auch nur einen Siedler räumen zu lassen. Ein Punkt unter anderem, weshalb linke Kabinettsmitglieder wie Yossi Beilin, Schimon Peres und Schlomo Ben-Ami größte Bedenken gegen eine Notstands-Regierung hegen.

Nicht minder "verzweifelt" als das israelische Friedenslager ist nach Raschoubs Worten das palästinensische, zu dem sich der Geheimdienst-Chef rechnet. Nicht Extremisten seien die treibende Kraft der Massenproteste in Gaza und Westbank. Auf die Straße, betonte Raschoub, "gehen vor allem Leute, die früher die Osloer Abkommen unterstützt haben". Indirekt rechtfertigte Raschoub auch das Vorgehen der Tansim, der bewaffneten Fatah-Miliz, die Sonntagnacht erstmals auf Gilo, eine jüdische Siedlung in Jerusalem feuerte. "Ich habe kein Problem mit ihnen." Ein Guerillakrieg in Westbank und Gaza scheint inzwischen fast unabwendbar.