junge Welt, 23.10.2000 Interview

Wie weiter in Palästina?

jW sprach mit Rainer Zimmer-Winkel, Vorsitzender der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.

F: Die in Scharm el Scheich in der vergangenen Woche erzielte Vereinbarung über ein Ende der Gewalt war schneller überholt als vereinbart. Hatte der Gipfel zwischen Israel und der Palästinenserführung zu dem Zeitpunkt überhaupt Sinn gemacht?

Es war sicher eine schwierige Entscheidung für Yassir Arafat, in der aufgeheizten Situation an einem solchen Gipfel teilzunehmen. Ob es wirklich klug war, kann man wohl mit gutem Recht bezweifeln. Allerdings muß man sehen, daß es zu Verhandlungen und Gesprächen keine große Alternative gibt.

F: Von palästinensischer Seite ist immer häufiger zu hören, die Zeit der Verhandlungen und Gipfel sei vorbei. Die Deutsch- Palästinensische Gesellschaft spricht von »einer neuen Phase des palästinensischen Freiheitskampfes«. Wie groß ist die Kluft zwischen der palästinensischen Führung und den Menschen auf den Straßen?

Ich glaube nicht, daß man es mit dem Wort Kluft richtig beschreibt. Die Frustration der Leute läßt sich heute nicht mehr besänftigen mit weiteren Erklärungen oder weiteren Gipfeltreffen. Sie wird nur mit konkreten Maßnahmen beantwortet werden können, und das heißt, dem Ende der Besatzung.

Palästina muß endlich über seine wirtschaftliche Zukunft, seine Außenbeziehungen und die Entwicklung seiner Gesellschaft selbst entscheiden können, frei von Interventionen und Diktaten. Solange palästinensische Dörfer täglich den Übergriffen schwerbewaffneter israelischer Siedler ausgesetzt sind, weiter Land konfisziert wird, Häuser und Olivenbäume zerstört und Zivilisten von Soldaten getötet werden, wird die Gewalt der Verzweiflung wachsen.

F: Wie hilfreich ist der Gipfel der Arabischen Liga und die Entscheidung, Israel weitgehend zu boykottieren? Treibt dies das Land nicht auch in eine Enge, aus der es nicht ausbrechen kann?

Mit Blick auf die Palästinenser war dieser Gipfel unbedingt notwendig. Er hat zum ersten Mal die arabischen Staatschefs inklusive des Irak wieder versammelt. Das ist innerarabisch von großer Bedeutung. Und es ist auch von großer Bedeutung für die Menschen auf der Straße, daß die politischen Führungen hier zumindest versuchen, Signale zu setzen.

Auf israelischer Seite werden die Ergebnisse des arabischen Gipfels sicher die Wahrnehmung verfestigen, wonach die ganze arabische Welt gegen das Land ist und man sich auf einer einsamen, isolierten Position befindet. Auch da sehe ich aber keine Alternative. Wenn die israelische Regierung nicht begreift, daß sie Frieden mit und in der Region schließen muß und nicht gegen die Region, dann lassen sich auch solche Erklärungen nicht verhindern.

F: Ist die israelische Führung tatsächlich an einem Frieden in der Region interessiert?

Die israelischen Eliten und die israelische Regierung sind an einem Frieden interessiert - allerdings an einem Frieden zu ihren Bedingungen. Und da liegt das Problem. Ein Frieden, der nicht auf der Basis von Gerechtigkeit und Gleichheit aufgebaut wird, sondern die Festschreibung der israelischen Hegemonie und gar noch die Zustimmung der palästinensischen Seite zu ihr bedeutet, ist kein Frieden.

F: Wie bedeutsam ist die Entschließung von Kairo - die libysche Delegation war abgezogen, weil die Kritik an Israel zu abgeschwächt war?

Man sollte die Bedeutung von Kairo nicht unterschätzen. Ein Regime wie das saudische hat sich dort zu einem relativ harten Standpunkt entschlossen und gefordert, die bereits erreichten Normalisierungsschritte mit Israel wieder einzufrieren. Wenn das ein Land tut, das in einer so klaren Allianz mit den USA steht, dann sind das schon Signale. Es sind Signale weniger an die Menschen in den arabischen Ländern als vielmehr an die westliche Führungsmacht, ihre Politik zu überdenken. Ob das allerdings erfolgreich sein wird - viel Hoffnung habe ich nicht.

F: Was sind die nächsten Schritte auf palästinensischer Seite?

Der palästinensische Informationsminister Abed Rabbo sprach von einem »Unabhängigkeitskrieg«, den die Palästinenser gegen Israel führen. Auch wenn ich den Begriff problematisch finde, muß man sehen, daß es sich in der palästinensischen Wahrnehmung bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um einen entscheidenden Schritt hin zum Ende der Besatzung und zur Erlangung der Souveränität und Unabhängigkeit handelt. Die Menschen haben die Schnauze voll, um das mal ganz salopp zu sagen, von dem, was in den letzten zehn Jahren versucht wurde und nicht erreicht worden ist.

F: Eine der Hauptparolen bei einer Demonstration in Berlin am Samstag war »Intifada bis zum Sieg«. Kann Israel durch Auseinandersetzungen auf der Straße in die Knie gezwungen werden?

Militärisch könnte ein Krieg der Palästinenser gegen die Israelis nicht gewonnen werden. Doch es geht auch nicht um einen Krieg im Sinne einer konkreten militärischen Auseinandersetzung. Aber der Einsatz von Raketen und Panzern seitens Israel ist natürlich auch keine Politik, die unbedingt zu friedlichen Demonstrationen ermutigt.

F: In Israel wird zur Zeit an einer Notstandsregierung unter Einschluß von Ariel Scharon gearbeitet. Kann eine solche Regierung noch Verhandlungspartner für die Palästinenser sein?

Grundsätzlich wird man sagen müssen, jede Seite entscheidet selbst über ihre Verhandlungsdelegation und über die Regierungen. Allerdings muß man nicht besonders pro-palästinensisch sein, um zu bezweifeln, daß ein Verteidigungsminister Ariel Scharon tatsächlich signalisiert, Israel sei an einem wirklich gerechten Frieden interessiert.

Interview: Rüdiger Göbel