Berliner Zeitung 21.10.2000

Israel will Todesschüsse nicht von der Uno untersuchen lassen

Regierung kritisiert Verurteilung durch Menschenrechtskommission / Trotz Aufrufs zur Waffenruhe mehrere Tote bei blutigen Krawallen

JERUSALEM, 20. Oktober. Israel wird nicht mit der internationalen Kommission zur Untersuchung der Gewalt in den Palästinensergebieten zusammenarbeiten. Die am Donnerstag von der UN-Menschenrechtskommission verabschiedete Resolution zur Bildung der Untersuchungskommission sei "feindlich, unpassend und überflüssig", hieß es in einer am Freitag verbreiteten Erklärung der israelischen Regierung. Die Resolution sei lediglich mit einer Mehrheit der "arabischen Länder und ihrer Partisanen" durchgekommen.
19 der 53 UN-Mitgliedsstaaten hatten die Resolution am Donnerstagabend in Genf verabschiedet, in der "der unverhältnismäßige und wahllose Einsatz" von Gewaltmitteln gegen "unbewaffnete palästinensische Zivilisten" kritisiert wird. 16 Länder stimmten dagegen, darunter die USA und die europäischen Staaten, 17 enthielten sich, und ein Land nahm nicht teil. In der Resolution werden die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson und andere Sonderberichterstatter aufgefordert, "dringend" in die Krisenregion zu reisen.

Ungeachtet des ablaufenden Ultimatums zur Beendigung der Gewalt kam es am Freitag wieder zu blutigen Auseinandersetzungen. Nach Angaben der palästinensischen Polizei und von Ärzten gab es sechs palästinensische Tote und über 200 Verletzte. In Salfit wurde ein 14 und in Ramallah ein 13 Jahre alter Junge durch Gummimantel-Geschosse israelischer Soldaten getötet. Vier Männer kamen nach Angaben von Krankenhäusern bei Ausschreitungen in Nablus um. Damit stieg die Zahl der Toten der seit rund drei Wochen anhaltenden Unruhen auf mindestens 114, die Mehrzahl Palästinenser.

Hamas droht mit Anschlägen

Auch in Ost-Jerusalem kam es vor dem Freitagsgebet erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Arabern und der Polizei. Gläubigen unter 40 Jahren war der Zugang zur Moschee auf dem Tempelberg verboten. Die Polizei berief sich bei ihrem Vorgehen auf Geheimdienstberichte, wonach jugendliche Palästinenser nach dem Gebet Tumulte anzetteln wollten.

Der Führer der Palästinenser-Organisation Fatah, Marwan Barghouti, hat sich in der "Berliner Zeitung" für eine Fortsetzung der Intifada eingesetzt. "Das Volk hat die Nase gestrichen voll vom Friedensprozess", sagt Barghouti. Die Palästinenser seien für die Intifada, weil sie es nicht länger ertragen würden, die Israelis ständig anzuflehen, damit diese die Abkommen umsetzten. Dem Fatah-Chef zufolge soll nun "Schluss mit Bitten und Betteln" sein. Der geistliche Führer der militanten Hamas-Organisation, Scheich Achmed Jassin, kündigte Terroranschläge auf israelischem Gebiet an. Mitglieder der Organisation seien bereits in Israel und träfen entsprechende Vorbereitungen. Die israelischen Bürger hätten allen Grund sich zu fürchten, sagte er der "Financial Times Deutschland".

Israels Ministerpräsident Ehud Barak warnte die Palästinenser, sein Land werde sich zu verteidigen wissen, falls die Gewalt weitergehe. Die Regierung gab den Palästinensern die Schuld an dem Feuergefecht in Nablus, bei dem am Donnerstagabend ein jüdischer Siedler und ein Palästinenser getötet worden waren. Barak sagte, die Palästinenser hätten das Feuer eröffnet und damit die Übereinkunft des Krisengipfels von Scharm El-Scheich verletzt. US-Präsident Bill Clinton appellierte an Israelis und Palästinenser, alles zur Umsetzung der Waffenruhe zu tun. (ig./Reuters, AP)