Frankfurter Rundschau 21.10.2000

Ultimatum beendet Gewalt nicht

Wieder viele Tote in Nahost / 48-Stunden-Frist abgelaufen

Unmittelbar nach Ablauf der von Israel gesetzten Frist zur Beruhigung der Lage in den Palästinensergebieten ist es am Freitag erneut zu schweren, blutigen Zusammenstößen im Westjordanland und im Gaza-Streifen gekommen. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben sechs Palästinenser erschossen und über 200 andere verletzt. Fünf israelische Soldaten erlitten ebenfalls Schussverletzungen.

JERUSALEM, 20. Oktober (dpa/afp/ap). Israelis und Palästinensern warfen sich gegenseitig vor, die Vereinbarung von Scharm-el-Scheich nicht eingehalten zu haben. Der amtierende israelische Außenminister Schlomo Ben Ami sagte, die Autonomiebehörde habe nicht in ausreichendem Maße für ein Ende der Gewalt gesorgt. Die Palästinenser beklagten, Israel habe die Abriegelung der Autonomiestädte nicht komplett aufgehoben.

Der PLO-Beauftragte für Jerusalem, Feisal Husseini, warf dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak vor, er habe die "schlechtesten Voraussetzungen" für eine bessere Atmosphäre zwischen beiden Seiten geschaffen. Barak hatte seit Monaten die Friedensbereitschaft von Palästinenserpräsident Yassir Arafat in Frage gestellt. Arafat selbst flog am Freitag zum Gipfeltreffen der Arabischen Liga nach Kairo.

Israel hatte im Abkommen von Scharm-el-Scheich versprochen, seine Truppen aus den autonomen Palästinensergebieten zurückzuziehen, Grenzen und Straßen sowie den Flughafen von Gaza wieder zu öffnen. Arafat hatte zugesichert, seine Landsleute zu einem Ende der Gewalt aufzurufen. Israel hatte ihm dazu eine Frist bis Freitag 16 Uhr eingeräumt. Die Regierung will die Fortsetzung der Friedensverhandlungen vom Verhalten der Palästinenser abhängig machen. Barak berief dazu am Nachmittag mehrere Minister zu einer Lagebeurteilung ein. Die Sitzung dauerte bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch an.

US-Präsident Bill Clinton hatte noch in der Nacht zum Freitag telefonisch an beide Seiten appelliert, die Unruhen unter Kontrolle zu bringen. Doch am Freitag wurden mindestens 70 weitere Menschen verletzt. Nach Angaben der palästinensischen Polizei starb vor Ablauf des Ultimatums ein 14-Jähriger in Salfit im Westjordanland an einem Schuss in die Brust. Kurze Zeit später wurde in Ramallah ein 13-Jähriger von Soldaten erschossen.

Wie der palästinensische Rote Halbmond berichtete, wurden allein in Ramallah mindestens 35 Palästinenser bei einer anti-israelischen Demonstration verletzt, vier von ihnen wurden von Geschossen in den Kopf getroffen.

Israel weigerte sich unterdessen, mit einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten, die die Unruhen in den Autonomiegebieten aufklären soll. Das Außenministerium wies am Freitag in einer Erklärung die Resolution der UN-Menschenrechtskommission als feindlich, einseitig und unnötig zurück. In der Resolution wurde Israel wegen der Anwendung von "weit verbreiteter, systematischer und grober Menschenrechtsverletzungen" verurteilt.