junge Welt 21.10.2000

Kommentar

Quadratur des Kreises

Israel verweigert Zusammenarbeit mit UN-Kommission

Wenn die »internationale Gemeinschaft« mehrheitlich den westlichen Führungsmächten widerspricht, dann hat sie den Anspruch, das Weltgewissen zu repräsentieren, verwirkt. Im Krieg gegen Jugoslawien galt sie als die höchste Berufungsinstanz, auf die sich die Aggressoren bei jeder Gelegenheit zu berufen wußten. Nun aber, da die UN- Menschenrechtskommission mehrheitlich die »systematischen und groben Menschenrechtsverletzungen« durch die israelische Armee in den palästinensischen Autonomiegebieten verurteilte, macht die bei der Abstimmung unterlegene Seite klar, daß Mehrheitsentscheidungen als ungültig zu werten seien, wenn sie von der falschen Mehrheit getroffen werden. Denn überstimmt wurden jene Staaten, die sich heutzutage wieder als Herrenvölker dünken: die USA und die EU-Länder.

Die gleichen, die im UN-Sicherheitsrat das Vetorecht abschaffen wollen, weil es die aggressiven Aktivitäten der westlichen Führungsmächte schon des öfteren blockiert hat, beanspruchen es de facto etwa bei Resolutionen der UN- Vollversammlung, wenn diese nicht nach ihrem Geschmack ausfallen. Dann wird das Mehrheitsspektrum zur unqualifizierten Mehrheit, an deren Beschlüsse sich eine qualifizierte Minderheit nicht zu halten brauche.

Israel hat es seit seiner Gründung nie für nötig gehalten, völkerrechtlich verbindlichen Beschlüssen der Weltgemeinschaft nachzukommen und bildete somit die Vorhut des heute von der »westlichen Wertegemeinschaft« generell gehuldigten Völkerrechtsnihilismus. Dem entspricht die kategorische Weigerung der israelischen Behörden, mit der auf Beschluß der UN-Menschenrechtskommission gebildeten Kommission zur Untersuchung der Ursachen der nahöstlichen Gewaltexzesse zusammenzuarbeiten. Denn dieser Beschluß sei »feindlich, unpassend und überflüssig«. Hinter ihm stünden »die arabischen Staaten und ihre Partisanen«. Daß im Land der Auschwitz-Überlebenden und ihrer Nachkommen der Begriff »Partisan« zum Schimpfwort werden konnte, wo doch die europäische Partisanenbewegung entscheidend dazu beigetragen hatte, den faschistischen Judenmördern ihr blutiges Handwerk zu legen, sagt einiges über das Selbstverständnis dieses Staates aus. Im aufrichtigen Sinn antifaschistisch kann es nicht sein.

Der arrogante Antiarabismus, der aus diesen Worten spricht, erinnert an die schlimmsten Zeiten israelisch- arabischer Waffengänge. Wenn Israels Premier Ehud Barak den Palästinensern die Reife zum Frieden abspricht, dann entspricht das genaue Gegenteil der Wahrheit. Aus seiner zionistischen Verfaßtheit kann und will Israel keinen gerechten Frieden mit den Palästinensern schließen. Die von Clinton erträumte Pax americana in Nahost ist eine Quadratur des Kreises. Denn sie hatte nicht die nationale und soziale Emanzipation der Palästinenser im Sinn, sondern deren Neutralisierung. Doch die beabsichtigte Schwächung des palästinensischen Widerstandspotentials hat das genaue Gegenteil zum Ergebnis.

Werner Pirker