Frankfurter Rundschau, 20.10.2000

EURO-PRAKTISCH

Abschiebung bei Arbeitslosigkeit?

FR-Leser: Ich bin italienischer Staatsbürger und lebe seit meinem sechsten Lebensjahr in Deutschland. Zur Zeit habe ich keinen Job und beziehe Arbeitslosenhilfe. Leider habe ich es versäumt, meine Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig verlängern zu lassen. Jetzt soll ich ausgewiesen werden. Ist das möglich, obwohl ich hier aufgewachsen bin?

Armin Czysz: Ein Verstoß gegen Formvorschriften, die Einreise oder Aufenthalt betreffen, ist kein ausreichender Grund, Sie als Bürger eines anderen EU-Staates auszuweisen, denn als EU-Bürger haben Sie grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Die Tatsache, dass Sie es versäumt haben, Ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen, ist allein kein Grund für eine Ausweisung.

Die entscheidende Bedingung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist eine andere: Sie müssen weiterhin den Status eines "Arbeitnehmers" haben. Da Sie in Deutschland gearbeitet und in die deutsche Sozialversicherung eingezahlt haben, haben Sie nach EU-Recht dieselben Rechte, von denen auch ein deutscher Arbeitnehmer profitieren würde. Sie haben das sichere Recht auf Arbeitslosengeld. Solange Sie in Deutschland Arbeitslosengeld beziehen, bleibt es beim Status des "Arbeitnehmers" und eine laufende Aufenthaltsgenehmigung müsste dementsprechend verlängert werden. Durch eine Ausweisung würden Sie den Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren. Dies wäre sicher eine unzulässige Diskriminierung, denn es würde Sie anders stellen als deutsche Arbeitnehmer in vergleichbarer Situation.

Schwieriger ist der Fall bei der Arbeitslosenhilfe. Denn sie wird nicht mehr vom Sozialversicherungsträger bestritten, sondern aus Steuermitteln des Bundes bezahlt. In einem ähnlich gelagerten Fall ist das Verwaltungsgericht Oldenburg kürzlich davon ausgegangen, dass ein Empfänger von Arbeitslosenhilfe nicht mehr als "Arbeitnehmer" in Sinne des EU-Rechts zu betrachten ist. Dieses Urteil hat heftige Diskussionen ausgelöst.

Wie in Ihrem Fall entschieden würde, ist deshalb durchaus offen. Zu erwarten wäre, dass das zuständige Verwaltungsgericht den Europäischen Gerichtshof vor seiner Entscheidung konsultiert. Deshalb sollten Sie sich Fall durch einen Anwalt beraten lassen.

Information: Bürgerberater der Europäischen Kommission, Vertretung in Deutschland, Unter den Linden 78, 10117 Berlin; Fax: 030-2280-2880.

Armin Czysz, Journalist und EU-Experte, beantwortet an dieser Stelle regelmäßig FR-Leserfragen.

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