Frankfurter Rundschau, 20.10.2000

Ben-Ami bezichtigt Palästinenser des Wortbruchs

Israels Außenminister sieht keine Beruhigung der Lage / Erneut ein Toter im Westjordanland

Israel hat am Donnerstag den Palästinensern vorgeworfen, die Vereinbarungen des Gipfels von Scharm-el-Scheich nicht in allen Aspekten zu erfüllen. Im Westjordanland wurde ein Palästinenser bei einer Auseinandersetzung mit israelischen Siedlern erschossen.

JERUSALEM / TEL AVIV, 19. Oktober (dpa/rtr/afp/ap). Die Lage habe sich im Ganzen nicht beruhigt, sagte der israelische Interims-Außenminister Schlomo Ben-Ami im Armeerundfunk. Die Palästinenser hielten ihre Zusage über ein Ende der Gewalt nicht ein. Vor allem die bewaffneten Kämpfer der Fatah-Organisation von Palästinenser-Präsident Yassir Arafat verletzten die Vereinbarung. Die Palästinenser-Regierung lasse das entweder absichtlich zu oder sie verschließe die Augen davor, sagte Ben-Ami. Israel hatte von Arafat verlangt, die Fatah-Kämpfer zu zügeln. Ben-Ami sagte weiter, er verfüge über "ernstzunehmende Informationen", denen zufolge ein palästinensisches Terrorkommando in Jerusalem oder der Region von Tel Aviv ein Attentat begehen könnte.

Der palästinensische Unterhändler Hassan Asfur entgegnete dem israelischen Außenminister, Israel solle zuerst die "terroristischen jüdischen Siedler" und geheimen Streitkräfte entwaffnen. Bei Auseinandersetzungen nahe der autonomen palästinensischen Stadt Nablus wurde nach Angaben eines Krankenhauses ein Palästinenser erschossen. Dem war ein Angriff auf jüdische Siedler vorausgegangen, die - unterstützt von israelischen Soldaten - das Feuer mit automatischen Waffen erwiderten. Bei weiteren Zusammenstößen im Westjordanland wurde nach Angaben der israelischen Armee mindestens ein Soldat durch Steinwürfe verletzt. In der jüdischen Siedlung Gilo nahe Jerusalem seien zwei Panzer beschossen worden.

Arafat rief zunächst nicht öffentlich zu einem Ende der Unruhen auf. Der Chef der Fatah-Bewegung, Marwan Barghuti, sagte der israelischen Zeitung Haaretz, die Unruhen in den Palästinensergebieten ließen sich auch per Anordnung Arafats nicht umgehend stoppen.

Israel hob die Belagerung palästinensischer Städte im Westjordanland auf, will aber die Abriegelung der Palästinensergebiete vorläufig aufrechterhalten. Zehntausende Palästinenser konnten deshalb am Donnerstag ihre Arbeit in Israel nicht aufnehmen. Im Gazastreifen wurden zwei Übergänge für den Güterverkehr geöffnet.

Die israelische Armee bestätigte, dass sie am Mittwoch mehrere mutmaßlich am Lynchmord von Ramallah beteiligte Palästinenser gefasst habe. Generalmajor Yitzhak Eitan machte jedoch keine Angaben über deren Zahl.

In Genf bemühten sich Vertreter der EU vor der UN-Menschenrechtskommission, eine Resolution abzuschwächen, die auf Wunsch der arabischen Staaten Israel für die jüngsten Unruhen verantwortlich macht. Die arabischen Länder zeigten sich aber am Donnerstag nicht bereit, den Entwurf zu entschärfen. In New York nahm die UN-Vollversammlung eine Debatte über die jüngste Welle der Gewalt im Nahen Osten auf. Dem Gremium liegt der Entwurf einer Resolution vor, mit der Israel wegen der "übertriebenen Anwendung von Gewalt" verurteilt werden soll.