junge Welt 19.10.2000

CDU schielt auf den rechten Rand

Merz verlangt von Einwanderern »Anpassung an deutsche Leitkultur«

Die Ankündigung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Friedrich Merz, die Ausländerpolitik massiv in die kommenden Wahlkämpfe einzubringen, sorgt weiter für heftige Debatten in und außerhalb der Unionsparteien. Während sich Unionspolitiker wie der stellvertretende Vorsitzende Volker Rühe gegen die Emotionalisierung dieses Themas wandten, bekräftigte Merz seinen Vorstoß.

In der Düsseldorfer Rheinischen Post (Mittwochausgabe) forderte er, Zuwanderer müßten sich der »deutschen Leitkultur« anpassen. Dem Zeitungsbericht zufolge versteht Merz darunter, daß Zuwanderer einen eigenen Integrationsbeitrag leisten müßten, indem sie sich an die in Deutschland gewachsenen kulturellen Grundvorstellungen anpassen. Er verlangte eine Einwanderungsregelung mit dem Ziel, jährlich etwa 200 000 Ausländer aufzunehmen. Mehr sollten es nicht sein, weil andernfalls die Integrationsfähigkeit der einheimischen Bevölkerung überfordert werde.

Mit Blick auf die Kritiker seines Vorstoßes verwahrte sich Merz gegen Versuche, »ein politisch so schwergewichtiges Thema wie Ausländer- und Einwanderungspolitik aus der öffentlichen Debatte auszuklammern«.

Dem widersprach der Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch »In der jetzigen Situation ist dieses Verhalten äußerst problematisch.« Zwar sei es auch früher Strategie der Union gewesen, »den rechten Rand zu integrieren«. Heute identifiziere sich dieser Rand aber »mit Gruppen wie der NPD« und agiere gewaltsam. Eine Strategie der versuchten Einbindung sei deshalb »hochgefährlich«.

Kritisch bewertete Schlauch dem Bericht zufolge auch ein jüngstes Treffen von CDU-Chefin Angela Merkel mit dem italienischen Spitzenpolitiker Silvio Berlusconi. Wer gemeinsame Sache mit ausgewiesenen Rechtspopulisten wie Berlusconi mache, der müsse sich fragen lassen, ob das vor dem Hintergrund rechtsextremer Gewalttaten in Deutschland angemessen sei, gab der Grünen-Fraktionschef zu bedenken.

Auch Vertreter des Handwerks warnten die Unionsparteien davor, die Einwanderungspolitik zum Wahlkampfthema zu machen. Einwanderung eigne sich nicht für Stammtischdebatten, sagte der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hanns- Eberhard Schleyer, der Chemnitzer Freien Presse (Mittwochausgabe). Deutschland müsse offener werden. Schon heute würden auf Grund der vorhandenen Fremdenfeindlichkeit Investitionsentscheidungen ausländischer Unternehmen zurückgestellt.

Schleyer verwies darauf, daß sich in Deutschland die Zahl der Erwerbstätigen ohne Zuwanderung in den nächsten vier Jahrzehnten um rund ein Drittel verringern werde. Das habe auf die Finanzausstattung der sozialen Sicherungssysteme verheerende Auswirkungen. Deutschland sei demnach auf Zuwanderung angewiesen, und das betreffe nicht nur Fachkräfte in Hochtechnologie-Branchen. Das Handwerk werde bereits ab 2005 Probleme haben, die vorhandenen Ausbildungsplätze zu besetzen.

(AP/ddp/jW)