Aachener-Zeitung, 19.10.2000

Bericht im Rat: «Tief bestürzt über diese Behandlung»

Aachen. Tief berührt und teils den Tränen nah erzählten Rosa Höller-Radtke (SPD) und Hilde Scheidt (Grüne) im Rat über ihr etwa anderthalbstündiges Zusammentreffen mit Hüseyin Calhan am Mittwochmittag.

Infolge des Hungerstreiks bringe der 1,82 Meter große Häftling nur noch 56 Kilo auf die Waage. Die tägliche Gewichtsmessung sei derzeit die einzige Maßnahme, mit der die Verfassung des jungen Kurden dokumentiert werde. «Sein Gesundheitszustand ist offensichtlich sehr bedrohlich. Er leidet unter unendlichen Depressionen, er hat einen Teil seiner selbst aufgegeben», sagte Höller-Radtke.

«Es kann einfach nicht sein, dass ein Mensch, der immer friedlich für die Rechte der Kurden eingetreten ist, wie ein Schwerverbrecher behandelt wird. Wir setzen nun unsere ganze Hoffnung auf ein neutrales Gesundheitsgutachten.» Sie fürchte aber, dass die Landesregierung mit Calhan «ein Exempel gegen das Wanderkirchenasyl statuieren will», empörte sich die SPD-Politikerin am Rande der Sitzung gegenüber der AZ.

Erstmals, bekannte Hilde Scheidt, habe sie die Zustände in einem Abschiebegefängnis erlebt. «Es war zutiefst deprimierend. Ich bin bestürzt, dass in unserem Land Menschen, die nichts Schlechtes getan haben, so behandelt werden, dass ein Mann, der fast sein ganzes Leben noch vor sich hat, sich praktisch aufgibt, weil man ihm nicht gestattet, hier zu leben.»

Die Grüne verband ihren Bericht mit einem Appell an das demokratische Empfinden in Deutschland und ganz Europa: «Wenn die Türkei EU-Mitglied werden soll, brauchen wir Menschen wie Hüseyin Calhan, um dieses Land bei seiner demokratischen Entwicklung zu unterstützen.» Calhans erbärmlicher Gesundheitszustand infolge von Hungerstreik und Angst vor Verfolgung und Folter sei «eine Blamage für unser Land».