Frankfurter Rundschau, 19.10.2000

Nachts kehren die Folterer zurück

Eine junge Frau kämpft um ein Leben nach der Pein

Von Yvonne Holl (Berlin)

Am 8. März 1992 begann Yildiz Ö. zu begreifen. Es war der Internationale Frauentag und in Istanbul sammelten sich Frauen zu einer Demonstration. Es war auch der Tag, an dem die "Vereinigung freier Frauen" erstmals an die Öffentlichkeit treten wollte. In dieser Gruppe hatten sich Kurdinnen zusammengeschlossen und gemeinsam begonnen, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln, dass die traditionelle Erziehung ihnen nicht gestattet.

"Ich war voll froher Erwartungen", sagt die heute 29-Jährige. Polizei kam. "Ich war naiv. Ich dachte, die Polizisten müssten uns verteidigen." Aber einer lief neben Yildiz her und rief: "Du bist geil drauf, du bist eine Hure, ich werde dir mein Funkgerät unten rein stecken." Die Polizisten verprügelten die Frauen, schleiften sie an den Haaren über den Boden. Yildiz kam verletzt nach Hause. "Ich hatte große Angst, ich war verletzt, sie haben uns unglaublich entwürdigt." Der Mann, der sie am Frauentag angeschrien hatte, hat sie später gefoltert.

Die "Vereinigung freier Frauen" wurde verboten. Yildiz trat der kurdischen Partei HEP bei, in der auch ihr Bruder Murat aktiv war. 1993 wurde Murat festgenommen und beschuldigt, für die PKK zu arbeiten. Kurz darauf wurde Yildiz festgenommen. Man verband ihr die Augen, brachte sie ins Polizeipräsidium Istanbul und zog sie aus. Nach drei Wochen wurde Yildiz dem Haftrichter vorgeführt - der sie freiließ.

Seit 1997 lebt Yildiz in Deutschland, ihr Asylantrag wurde angenommen. Für das "Frauenrechtsbüro gegen sexuelle Folter", eine Kooperation deutscher und kurdischer Juristinnen, hat sie aufgeschrieben, was in den drei Wochen geschah. "Ich erwarte, dass die, die uns gequält haben, sich entschuldigen. Zu sprechen ist meine Art politischer Arbeit." Yildiz wurde gefoltert. Stundenlang wurde sie kopfüber aufgehängt - immer nackt. Ihre Zehen, Finger und Brustwarzen wurden mit einem Elektroschockgerät verletzt. "Einmal sagten sie, wir fahren dich zum Flughafen. Und ich habe es geglaubt." Es ging in den Wald, dort steckten sie ihr einen Stock in den After und vergewaltigten sie. Yildiz wurde oft vergewaltigt, manchmal von mehreren hintereinander. Einmal, als sie um Wasser bat, gaben sie ihr Salzwasser zu trinken, einmal pinkelte ihr einer ihrer Peiniger ins Gesicht. Wasser löst seitdem Angstzustände bei Yildiz aus.

Ihr Bruder Murat wurde auch gefoltert. Er ist seitdem behindert und lebt in der Schweiz. Yildiz ist körperlich gesund. "Aber meine Psyche nicht." In Deutschland ist sie etwas ruhiger geworden. "Aber nicht so ruhig, wie ich hoffte." Hier trifft sie auf Diskriminierung, und ein Polizist habe ihr einmal zwischen die Beine gegriffen. "Meine Träume, mein Schlaf, sind von der Folter bestimmt", sagt sie. Und: "Das Leben an sich ist schön." Sie will dazu beitragen, dass es sich in Zukunft auch wieder so anfühlt. Yildiz will den Folterern nicht Recht geben, die ihr sagten: "Dein Leben ist jetzt unser." Yildiz sagt: "Ich versuche, zu widerstehen."

Yildiz lernt deutsch, sie singt und schreibt Verse, die sie vielleicht bald veröffentlichen wird. In der Nacht vor dem Interview konnte sie wieder nicht schlafen. Sie hat ein Gedicht geschrieben, es heißt: Eine von Tränen genährte Hoffnung.