junge Welt,19.10.2000

Interview

Wie bewerten Sie Scharm el Scheich?

jW fragte Hayat El-Haj, Sprecherin der Palästinensischen Gemeinde Berlin-Brandenburg

F: Wie bewerten Sie das am Dienstag im ägyptischen Scharm el Scheich geschlossene Abkommen zwischen US-Präsident William Clinton, Israels Premier Ehud Barak und Palästinenserpräsident Yassir Arafat über ein Ende der Gewalt?

Zunächst einmal möchte ich betonen, daß ich dem gesamten Treffen nicht positiv gegenüberstand. Für die Palästinenser geht es derzeit nicht darum, die Gewalt »auf beiden Seiten« zu beenden. Faktisch ist es doch so, daß es in Palästina eine Besatzungsmacht gibt. Es gibt mehrere Beschlüsse der UNO, die besagen, daß sich diese Besatzungsmacht zurückziehen soll. Die entsprechenden Resolutionen werden bis auf den heutigen Tag seitens Israels negiert.

Worüber nun in Ägypten gesprochen wurde, die Möglichkeiten, die anhaltende Gewalt zu beenden, ging an der Ursache der Probleme vorbei. Problem ist doch, daß die Palästinenser nicht auf ihr Rechte verzichten wollen - auf Rechte, die ihnen die ganze Welt zugesteht.

Die Menschen auf den Straßen Palästinas schenken dem Abkommen daher auch keinen Glauben. Sie sind wütend, sie haben es satt, weiter so zu leben, wie sie es derzeit müssen. Sie können einfach nicht mehr. Für die Palästinenser geht es daher einzig darum, die Ursache der Probleme zu lösen. Die jetztige Intifada wird immer wieder ausbrechen und andauern, bis die Palästinenser ihre Rechte erreicht haben.

Sieht man den gesamten sogenannten Friedensprozeß als Farce an, dann ist die Entwicklung doch eher positiv zu bewerten. Die palästinensische Seite muß sich nicht mehr an Vereinbarungen halten, die von Israel sowieso noch nie respektiert und umgesetzt wurden.

F: Die israelische Gewalt gegen Palästinenser ist nichts Neues. Die gab es die ganze Zeit, ebenso wie die Schießereien gegen Palästinenser - allerdings nicht in dem Ausmaß wie jetzt und mit dem Niederschlag in den Weltmedien.

Wir Palästinenser sehen die Intifada als Hoffnung, endlich etwas zu erreichen. Die Israelis halten sich an keine Gesetze und an keine UNO-Beschlüsse. Sie halten sich an nichts. Unser einziger Weg ist, auf die Straße zu gehen und zu sagen: Es reicht.

F: Sie wollen in den kommenden Tagen auch in Berlin für Ihre Rechte demonstrieren. Was fordern Sie konkret?

Die palästinensische Gemeinde in Berlin-Brandenburg sowie verschiedene andere arabische Organisationen rufen zu einer Kundgebung am heutigen Donnerstag um 17 Uhr vor der Gedächtniskirche in Berlin auf. Am Samstag wollen wir eine zentrale Demonstration in Berlin durchführen. Unsere Forderungen sind allgemein gehalten: Stopp der israelischen Aggression und Beendigung des Landraubes in Palästina. Wir fordern aber auch die deutsche Öffentlichkeit auf, sich mehr mit unserer Situation auseinanderzusetzen. Es darf keine Doppelmoral geben: Ich kann nicht die Angriffe gegen Juden in Deutschland oder die Attacken auf Synagogen verurteilen und andererseits für die Verbrechen an den Palästinensern Verständnis aufbringen oder halbherzig sagen, »ich kann da keine Position beziehen«.

Interview: Rüdiger Göbel