Die Presse (A), 19.10.2000

Liberalem Geistlichen im Iran droht die Todesstrafe

Hassan Jusefi Eschkevari steht wegen "Verneinung der unbestreitbaren Tatsachen der Religion" vor Gericht.

Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN

ISTANBUL/TEHERAN. "Die Propheten haben den Anspruch vertreten, im Besitz der Wahrheit zu sein, aber sie haben niemals erklärt: Wir mischen uns in alle Angelegenheiten ein, sind die absolute Wahrheit, und die anderen haben keinen Anteil an der Wahrheit." Der dies sagt, ist ein kleiner, etwas rundlicher iranischer Geistlicher namens Hassan Jusefi Eschkevari. Er ist im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Er ist unter anderem wegen "Verneinung der unbestreitbaren Tatsachen der Religion" und wegen "Kampfes gegen Gott" angeklagt. In den nächsten Tagen wird ein Spezialgericht für Geistliche sein Urteil fällen; es könnte die Todesstrafe sein. Neben seiner liberalen Glaubensauffassung hat Eschkevari vor allem seine Kritik an der Institution des religiösen Führers ins Evin-Gefängnis gebracht. Der religiöse Führer, Ayatollah Ali Khamenei, steht in der Islamischen Republik Iran höher als alle vom Volk direkt gewählten Institutionen wie Präsident und Parlament. Eschkevari ist nicht der einzige Geistliche, der meint, daß dadurch dem Ansehen der Religion langfristig Schaden zugefügt werde. Doch anders als die meisten anderen redete er offen, zuletzt im März auf einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Dort sagte er beispielsweise, daß es im Islam zweierlei Gebote gebe, solche, die zu den Prinzipien der Religion gehörten, und solche, die Mohammad nur zur Regelung der zivilen Gesellschaft entsprechend seinem Land und seiner Zeit eingeführt habe. Dabei deutete er auch an, daß er den Schleierzwang für Frauen nicht für unbedingt nötig halte. Eschkevari zögerte lange, ehe er nach der Konferenz in den Iran zurückkehrte. Vor seinem Abflug sagte er, daß er mit einer Verhaftung rechne, aber an die Zukunft der Reformbewegung glaube. Der reformorientierte Präsident Mohammed Khatami und der Parlamentssprecher Mahdi Karubi haben sich besorgt über den möglichen Ausgang seines Prozesses geäußert. Khatami bekundete seine "Abscheu" über das Verfahren.