Neue Zürcher Zeitung (CH), 19.10.2000

Ein Nationalist als Parlamentschef in Ankara

Spannungen in der türkischen Koalitionsregierung

Der nationalistische Politiker Ömer Izgi ist am Mittwoch zum neuen Präsidenten des türkischen Parlaments gewählt worden. Die von den europäischen Regierungen erwarteten Reformen in der Kurdenfrage oder in Fragen der Religions- und Meinungsfreiheit könnten in einem Parlament unter Izgis Führung massgeblich erschwert werden.

it. Istanbul, 18. Oktober

Das türkische Parlament hat am Mittwoch mit knapper Mehrheit den Kandidaten der rechtsextremen Nationalistischen Aktionspartei (MHP),Ömer Izgi, zum neuen Präsidenten der Nationalen Volksversammlung gewählt. Izgi war der gemeinsame Kandidat der zwei stärksten Partner in Ankaras Koalitionsregierung, der MHP und der Demokratischen Linkspartei (DSP), und er wurde auch vom Regierungschef Ecevit offen unterstützt. Trotz dieser Rückendeckung aus der Regierung hat er nur zwei Stimmen mehr als sein Hauptopponent, Murat Basesgioglu, erhalten. Basesgioglu war vom dritten Partner in der Koalition, der konservativen Mutterlandspartei (Anap), sowie von der Opposition unterstützt worden. Die Tatsache, dass die Anap auch bei dieser Abstimmung sich gegen die Beschlüsse der Regierungsführung aufgelehnt hat, wird in Kreisen derzwei grossen Parteien missmutig als neue Rebellion des bereits zuvor aufmüpfigen kleinen Partners gewertet. Im Gegensatz zu früher droht laut der renommierten Zeitung «Radikal» diese Rebellion die Spannungen zwischen den Koalitionspartnern zu verschärfen und zu einer Gefahr für die Einheit der Regierung auszuwachsen.

Der Parteichef der Anap, Mesut Yilmaz, wird nach dieser Abstimmung nicht nur wegen der Rebellion seiner Abgeordneten in Schwierigkeiten mit den zwei grossen Partnern geraten. Seitdem Yilmaz in der Regierung für die Beziehungen der Türkei und der Europäischen Union (EU) zuständig ist, plädiert er für liberale Reformen in der schwierigen Kurdenfrage sowie in Fragen der Menschenrechte. Von der Verwirklichung dieser Reformen hängt es ab, ob die Türkei die Annäherung an die EU tatsächlich schafft. Der neue Parlamentspräsident könnte die Zusammenarbeit ausgerechnet in diesen Fragen aber verweigern. Izgi wurde von der MHP-Führung für das angesehene Amt des Parlamentspräsidenten deshalb gewählt, weil er in der Öffentlichkeit das Image des gemässigten Nationalisten pflegt.

Seine politischen Widersacher trauen diesem Eindruck aber keineswegs. Izgi ist seit Beginn der achtziger Jahre als feuriger Verfechter des türkischen Nationalismus bekannt. Damals verteidigte er vor den Sondergerichten die Mitglieder der rechtsextremistischen Organisation der «Grauen Wölfe», die im Namen der türkischen Nation Attentate gegen Andersdenkende verübt hatten. Heute gilt er in Ankara als kompromissloser Anhänger des Kemalismus und des Säkularismus. Das bedeutet, dass Reformen in der Kurdenfrage sowie in Fragen der Meinungs- und Religionsfreiheit unter seiner Führung im Parlament noch zusätzlich erschwert werden könnten.