Der Bund (CH), 19.10.2000

Auch Folterknechte gehen mit der Zeit

MENSCHENRECHTE / Daumenschrauben sind längst passé. Die heutigen Folterknechte setzen auf Hightech, zum Beispiel auf Elektroschockgeräte. Der Markt für solche Quälinstrumente ist gross: In über siebzig Ländern wird heute noch mit System gefoltert. Amnesty International kämpft dagegen mit einer weltweiten Kampagne an.

MARCO MORELL

«Sie steckten den elektrischen Knüppel gewaltsam in meine Geschlechtsteile. Ich fühlte einen Schmerz, als wäre es ein Schlagbohrer.» Mit diesen Worten berichtet die 25-jährige türkische Krankenschwester Mediha Curabaz von der Folter, die sie 1991 auf einer Polizeistation erleiden musste. Ihr Schicksal ist in einem der zahlreichen Berichte über Folter widergegeben, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International veröffentlicht hat.

Seit den Sechzigerjahren setzt sich Amnesty gegen diese Form der Menschenquälerei ein. Damals wurde ein grosser Teil der Welt beherrscht von kommunistischen und rechtsgerichteten Diktatoren, die einen grossen Teil ihrer Energien dafür verwendeten, wirkliche oder vermeintliche Opponenten zu verfolgen. Inzwischen haben die meisten von ihnen demokratisch gewählten Nachfolgern Platz machen müssen. Doch wer meint, damit seien auch menschenverachtende Verfolgungsmethoden wie die Folter verschwunden, der irrt.

Lukrativer Markt

In den vergangenen drei Jahren seien in über 80 Staaten Menschen an den Folgen der Folter gestorben, schreibt Amnesty in einem neuen Bericht. Aus über 150 Ländern seien Fälle von Folter oder Misshandlung durch staatliche Sicherheitskräfte gemeldet worden; in über 70 dieser Länder seien diese Praktiken «weit verbreitet» - und dies alles, obwohl es inzwischen eine Uno-Konvention gegen Folter gibt, die von 120 Staaten ratifiziert worden ist, unter anderem auch von der Schweiz. In einer Hinsicht hat sich die Lage gegenüber früher sogar verschlimmert: Den Folterknechten steht heute eine breite Palette moderner Hightech-Instrumente zur Verfügung. In über 60 Staaten werden laut Amnesty Elektroschockgeräte in Gefängnissen, Jugendstrafanstalten und auf Polizeistationen verwendet. Für die Hersteller solcher Geräte ist ein lukrativer Markt entstanden. Daran nehmen auch Firmen aus westlichen Demokratien teil, die in Sachen Menschenrechte höhere Ansprüche stellen. Von den rund hundert Herstellern, die Amnesty ausfindig gemacht hat, haben «fast die Hälfte» ihren Sitz in den USA, andere in Belgien, Frankreich, Deutschland, Taiwan oder Südafrika.

«Auf dem Trottoir gelandet»

Die US-Firma Security Plus bietet beispielsweise auf ihrer Webseite Elektroschockpistolen und -knüppel zum Kauf an, zu Preisen zwischen 25 und 70 Dollar. In einem Begleittext rühmt die Firma die «hohe Wirksamkeit» ihrer Produkte, wenn es darum gehe, «ein Individuum bewegungsunfähig» zu machen. «Ein Schock von einer halben Sekunde», heisst es im Text weiter, «verursacht während bis zu 15 Minuten Zuckungen und Benommenheit. Ein Schock von fünf Sekunden kann einem Angreifer das Gefühl geben, er sei aus einem zweistöckigen Gebäude gefallen und auf dem Trottoir gelandet.» Was in den USA und anderswo als Mittel zur Selbstverteidigung zunehmend Verbreitung findet, wird laut Amnesty in Unterdrückerstaaten wie China oder Saudiarabien von Folterern geschätzt, weil bei den Opfern keine sichtbaren Spuren zurückbleiben. Elektroschockgeräte können aber bei missbräuchlicher Anwendung schlimme Folgen haben wie Versteifungen, Impotenz oder permanenter Angstzustand.

Zur Unterbindung des Handels mit Foltergeräten fordert die Menschenrechtsorganisation von den Herstellerländern striktere Exportkontrollen. Ausserdem plädiert sie für das Verbot von Elektroschockgürteln. Diese Apparate sind vor allem in den Gefängnissen der USA verbreitet. Per Fernbedienung kann dem Träger des Gürtels aus einer Distanz von bis zu 300 Metern ein Stromstoss von 50 000 Volt versetzt werden. Die Hersteller warnen vor der Anwendung bei Schwangeren, Herzkranken oder Epileptikern - was Folterer aber wohl kaum zur Vorsicht bewegt.

Forderungen an Schweiz

Der technische Fortschritt soll nun auch jenen Kräften helfen, die Menschenquälern das Handwerk legen wollen. Per E-Mail, SMS und Fax werden Amnesty-Aktivisten in aller Welt in den nächsten Wochen Folterpraktiken denunzieren und die verantwortlichen Regimes unter Druck setzen. Frauke Lisa Seidensticker, die Chefin von Amnesty Schweiz, forderte gestern in Bern an einer Pressekonferenz vom Bundesrat mehr Härte im Umgang mit Folterstaaten wie der Türkei und Israel. Die Schweiz müsse aber auch vor der eigenen Türe kehren und Vorwürfe von Folter und Misshandlung gegen Schweizer Polizisten «ernsthaft verfolgen». SP-Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold bezeichnete es als «unerträglich», dass die Schweiz immer wieder Exportrisikogarantien gewähre für Folterstaaten.

Auch eine Form der Folter: Polizisten auf den Philippinen misshandeln einen Demonstranten. Key