Frankfurter Rundschau, 19.10.2000

"Alles, was einmal gut war, hat sich ins Böse verkehrt"

Facharzt Peter Boppel über die Psyche von Folterern, ihre Schulung und die Chancen auf Rückkehr in ein "normales" Leben

Wer einmal zum Foltern ausgebildet wurde, wird den Weg zurück in die Gesellschaft wohl nicht mehr finden, sagt Peter Boppel, Facharzt für psychotherapeutische Medizin. Mit dem Referent im Amnesty-Aktionsnetz der Heilberufe sprach FR-Korrespondent Jörg Schindler.

Frankfurter Rundschau: Herr Boppel, ist jeder Mensch ein potenzieller Folterer?

Boppel: Zumindest ist jeder Mensch, je nach dem Druck, der auf ihn ausgeübt wird, zu Destruktion zu bringen. Das hat sehr viel mit seiner Vorgeschichte, seiner Lern- und Lebenserfahrung zu tun und was er an genetischer Ausstattung mitbringt. Es gibt Untersuchungen, die nahe legen, dass Verbrecher mit einer normalen Kindheitserfahrung Funktionsstörungen am Frontalhirn aufweisen. Sie könnten genetischer oder dispositioneller Natur sein.

Sind die "besten" Folterer diejenigen, die selbst brutal gefoltert wurden?

Die "Besten" sind diejenigen, die am gehorsamsten und am grausamsten ihre Arbeit tun. Das hängt sehr stark davon ab, welche Lebenserfahrung sie gehabt haben. Wenn sie selbst mit Gewalt oder Demütigung erzogen wurden, beziehungsweise unter soziokultureller Vernachlässigung, zum Beispiel auch Hunger, litten, dann braucht man gar keinen so schweren Drill - das addiert sich fast von selbst.

Und die anderen macht man durch massiven Druck zu Folterknechten?

Ja. In der Ausbildung von Spezial- und Elitesoldaten bzw. dann in der Verlängerung zu Folterern wird ein erheblicher seelischer Druck ausgeübt. Das geschieht in erster Linie über starke Demütigungen und zum anderen über starke körperliche Misshandlungen - also Schlafentzug, Strafen, Schläge, Misshandlungen durch die eigene Einheit . . . Da wird alles Mögliche eingesetzt, bis hin zu sexuellen Übergriffen, um diese Männer zu traumatisieren.

Aber wer traumatisiert wird, fängt doch nicht automatisch an zu foltern?

Eine Traumatisierung bewirkt das Aufbrechen von gebildeten Hirnstrukturen - so kann man sich eine Hirnwäsche vorstellen. Es entsteht Platz für neue Inhalte. Die Ausbilder können dann beispielsweise Feindbilder installieren, was noch verstärkt wird durch die Argumentation: Wir quälen dich nur deshalb so, damit du dem Gegner standhalten kannst. Der Hass, der dadurch entsteht, wird sich gegen den Feind beziehungsweise das Folteropfer richten. Das geht so weit, dass diese Menschen durch die Ausbildung ihre Tötungshemmung verlieren sollen. Es gibt natürlich auch Sadisten, die spontan foltern, aber das ist eine Minderzahl. Die meisten Folterer werden durch Drill erzeugt.

Ist das Alter dabei unerheblich?

Im Gegenteil. Je früher diese Drillausbildung einsetzt, umso formbarer ist noch das Gehirn. Auch bei uns findet die soldatische Ausbildung ja während der Adoleszenz statt, also in einer Zeit, in der sich der junge Mensch von alten Strukturen lösen und Autonomie ausbilden soll. Ich halte das für problematisch.

Wo gibt es Ausbildungsstätten für Folterer?

Wir wissen das ja meist erst hinterher. Es gibt sehr genaue Erkenntnisse aus den lateinamerikanischen Diktaturen, wir kennen Ausbildungsanstalten in Irak und Iran, wir wissen von den Kindersoldaten in Mosambik. Es ist vieles bekannt über den rumänischen Geheimdienst Securitate und die Waisenkinder, die unter Ceausescu ausgebildet worden sind.

Was ist mit westlichen Demokratien?

Wir wissen, dass die USA lange Zeit in der Panama-Zone eine Schule unterhielten, wo fast sämtliche Führer lateinamerikanischer Diktaturen ausgebildet wurden. Aber die direkte Ausbildung im Foltern in den westlichen Industrienationen ist - wenn überhaupt - ein großes Geheimnis. Hier werden ja Spezialsoldaten nicht im Foltern, sondern in speziellen Verhörmethoden ausgebildet. Wobei es dabei fließende Übergänge gibt.

Ist es denn möglich, aus Folterern wieder ganz normale Menschen zu machen?

Kaum. Ein Mensch, der derart stark traumatisiert ist, hat ein Leben lang Schwierigkeiten, wieder richtig zu fühlen. Man muss sich vorstellen, dass sich für diese Menschen ja alles, was mal gut war, völlig ins Böse verkehrt hat. Zudem wurde ihnen ja von außen ein Größenwahn eingeimpft, der dann später in sich zusammen- fällt. Die Folge ist eine ganz schwere Vertrauens- und Identitätsstörung. Darüber hinaus wissen wir aus Studien über die US-Marines aus dem Vietnamkrieg, dass es zu tatsächlich messbaren Gehirnveränderungen gekommen ist - das sind natürlich Schäden, die kaum wieder rückgängig zu machen sind. Solche Veränderungen kennen wir ja leider ebenfalls bei den Opfern der Folter.