Frankfurter Rundschau, 18.10.2000

"Wütend und traurig"

Gießener Frauen schrieben einen Brief an Paul Spiegel

GIESSEN. Gießener "Frauen für den Frieden" haben sich in einem Brief an den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, "bestürzt, empört und sehr traurig" über die Anschläge auf jüdische Einrichtungen gezeigt. Die Initiative engagierter Frauen, 1981 im Zuge der Debatte um den Nato-Doppelbeschluss gegründet, macht Versäumnisse in der Politik für Gewalt und Rechtsruck in der Gesellschaft mitverantwortlich: "Wer aufmerksam das Leben in den Kommunen beobachtet, hat schon lange erkannt, wie und wo Politiker versagten, so dass rechte Parolen gedeihen konnten", sagte Sprecherin Bergrun Richter.

Die "Frauen für den Frieden", ein Kreis unerschrockener Aktivistinnen um die Frau des Gießener Psychoanalytikers Horst-Eberhard Richter, hatten schon Anfang der 90er Jahre die ihrer Ansicht nach "verfehlte Asyl-, Ausländer- und Flüchtlingspolitik" im Bund kritisiert und vor den Folgen gewarnt. Als Ursache für Ausländerhass, davon sind die Frauen überzeugt, könnten weder Arbeitslosigkeit noch soziale Ungleichheiten verantwortlich gemacht werden. Die Ursachen für die "soziale und menschliche Verrohung deutscher Mitbürger" lägen vor allem in der Gleichgültigkeit und in dem Unwillen, sich demokratisch mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinander zu setzen.

In dem Brief machen die Friedensfrauen Paul Spiegel Mut: "Wir bewundern ihre immer noch versöhnliche Haltung unserem Volk gegenüber, das einst unsägliche Schuld auf sich geladen hat".

Die Gießenerinnen betonen, alles tun zu wollen, um jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, zu fördern und zu unterstützen. Dass sie heute mit Briefen gegen offene rechtsradikale und antisemitische Gewalt protestieren müssen, stimmt die Mitglieder der Initiative, die sich vor allem mit zivilen Formen der Konfliktlösung beschäftigt haben, "wütend und traurig".

Vor eineinhalb Jahren waren die Frauen mit Mahnwachen in Gießen auf die Straße gegangen, um gegen die Nato-Bomben zu demonstrieren, weil es einen gerechten Krieg für sie nicht gibt. tru