Neue Zürcher Zeitung (CH), 18.10.2000

Karger Erfolg des Krisentreffens in Ägypten

Arafat und Barak wollen Gewalttätigkeit beenden

Das Krisentreffen in Sharm ash-Sheikh ist am Dienstagmittag mit einem mündlichen Übereinkommen zu Ende gegangen. Der Palästinenserführer Arafat und der israelische Ministerpräsident Barak verpflichteten sich, der Gewalt ein Ende bereiten zu wollen. In den palästinensischen Gebieten protestierten Tausende gegen die Abmachung.

ber. Kairo, 17. Oktober

Zum Abschluss der 20-stündigen Verhandlungen während des nahöstlichen Krisentreffens imägyptischen Badeort Sharm ash-Sheikh hat Präsident Clinton im Beisein des PalästinenserführersArafat, des israelischen Ministerpräsidenten Barak und der übrigen Beteiligten das Ergebnis verlesen. Die zwischen Israeli und Palästinensern getroffenen Abkommen mochten auf den erstenBlick dürftig erscheinen, erklärte Clinton einleitend, doch bildeten sie eine Basis für einen Neubeginn. Man habe sich auf mehrere Punkte einigen können, fuhr er fort. Damit sie realisiert werden könnten, hätten Barak und Arafat zugesagt, der Gewalt sofort ein Ende bereiten zu wollen. Sie wollten konkrete Schritte einleiten, um die momentane blutige Konfrontation zu stoppen, bestehende Reibungsflächen zu eliminieren und für die Beendigung der gegenseitigen Aufwiegelung zu sorgen. Die einzelnen Punkte des Abkommens umfassten den Rückzug der israelischen Truppen und die Aufhebung der Abriegelung der palästinensischen Gebiete. Weiter soll der Flughafen im Gazastreifen wiedereröffnet und dieisraelisch-palästinensische Kooperation in Sicherheitsfragen erneut aufgenommen werden.

Untersuchung durch die Uno
Damit wurden eine Reihe von Arafats Forderungen erfüllt, so dass einige Beobachter bereits von einem palästinensischen Gelingen sprachen. Doch einem der wichtigsten Anliegen der Palästinenser, nämlich der Bildung einer internationalenKommission, welche die Hintergründe der blutigen Konfrontation der vergangenen Wochen untersuchen soll, wurde nur mit Einschränkungen nachgegeben. Die Israeli hatten eine solche Untersuchung abwertend als Femegericht bezeichnet und wollten sie nur akzeptieren, wenn sie von den USA geleitet würde. Arafat wiederum hatte den amerikanischen Vorsitz abgelehnt, weil er die USA für parteiisch hält. Nach dem Abkommen von Sharm ash-Sheikh soll die Untersuchungskommission einerseits unter die Beaufsichtigung der Uno und andererseits unter die Kontrolle Clintons gestellt werden.

Am späten Montagabend hatte sich noch kein Durchbruch abgezeichnet, und die Verhandlungen mussten zunächst unterbrochen werden. DaArafat und Barak nicht direkt miteinander sprechen wollten, begann Präsident Clinton spätnachts Einzelgespräche mit den beiden Kontrahenten zu führen. Hierbei akzeptierten schliesslich beide Seiten, für den sofortigen Stopp derGewalttätigkeiten zu sorgen. Bei seiner abschliessenden Rede sprach Clinton zwar von der Bestätigung beider Seiten, so schnell wie möglich Recht und Ordnung herzustellen, konnte aber kein schriftliches und unterzeichnetes Abkommen vorlegen. Für Arafat und Barak, die sich auch amSchluss nicht die Hand gaben, bleibt so die Möglichkeit, Clintons Worte auf ihre Weise zu interpretieren und der Bevölkerung daheim darzulegen. Bei Verhandlungsende blieb auch offen,wer den ersten Schritt zur Beendigung der Gewalttätigkeit zu tun habe. Kurz nach seiner Heimkehr sagte Barak, dass Israel sehr wohl wisse, waszu tun sei, falls die Palästinenser trotz ihrem Versprechen in Sharm ash-Sheikh ihre Angriffe aufdie israelischen Sicherheitskräfte nicht unterliessen. Arafat wiederum sagte, er erwarte von Israel, dass es die einzelnen Punkte des Abkommens so schnell wie möglich in die Tat umsetze. Anhänger von Arafats Fatah erklärten in Gaza, dass der Gipfel in Sharm ash-Sheikh gescheitert sei und die Intifada weitergehen müsse. Auch Anhänger der Hamas-Bewegung gaben in Gaza bekannt, sie hielten sich nicht an Arafats Anweisungen. Tod bei der Olivenernte
Noch während der Rede Clintons wurde in den palästinensischen Gebieten weiter gegen das Treffen von Sharm ash-Sheikh demonstriert. Den Begräbnissen eines am Montag getöteten palästinensischen Polizisten und eines 15-jährigen Knabenin Bethlehem schlossen sich lange Demonstrationszüge an. Grosse Wut und Verzweiflung erregte am Dienstag der gewaltsame Tod eines palästinensischen Bauern. Er war laut Angaben internationaler Nachrichtenagenturen mit der Olivenernte beschäftigt, als jüdische Siedler ihn erschossen. Drei weitere Bauern wurden verletzt. Am Grenzübergang Erez zwischen Israel und dem Gazastreifen kam es am Dienstagnachmittag zu erneuten Zusammenstössen. Verärgerte Palästinenser bewarfen israelische Soldaten mit Steinen, worauf diese mit Tränengas und mit Gummi ummantelten Geschossen antworteten. Bei diesen Auseinandersetzungen kam ein palästinensischer Polizist ums Leben. Laut Spitalangaben wurde er von mehreren Schüssen in die Brust tödlich verletzt.