taz 18.10.2000

"Rechte ist nicht zum Kompromiss bereit"

Der israelische Historiker Benny Morris über die Chancen für einen Frieden unter einer Einheitsregierung

taz: Herr Morris, wie schätzen Sie die Vereinbarungen von Scharm al-Scheich ein?

Bennie Morris: Wenn sich beide Seiten an ihre Verpflichtungen halten, ist es ein wichtiger Vertrag, der die Wiederaufnahme von Verhandlungen ermöglicht.

Die USA wollen nun prüfen, auf welcher Basis die Verhandlungen fortgesetzt werden können. Welche neuen Ideen könnten sie jetzt noch haben?

Wenn die USA beide Seiten nach Washington einladen, werden sie nicht viel Neues anbieten. Es gab eine Reihe von Kompromisspapieren. Problematisch ist, dass Arafat die Kompromisse nicht eingehen konnte und es auch künftig nicht tun wird.

Gibt es eine Rückkehr zum Friedensprozess?

Der Osloer Friedensprozess ist gestorben, als Ehud Barak an die Regierung kam und sagte, dass er an Stelle der Interimslösungen sofort eine endgültige Lösung anstrebe. Barak hat weder die Verträge von Wye, noch die von Hebron umgesetzt. Er wollte keine weitere Gebietsaufgabe ohne Gegenleistung der Palästinenser. Stattdessen bot er gleich 95 Prozent der palästinensischen Gebiete für die Unterschrift Arafats auf dem Vertrag.

Inwiefern unterscheidet sich die gegenwärtige Krise von bisherigen Rückschlägen?

Der wichtigste Unterschied ist, dass hier nicht länger nur Steine flogen, sondern scharf geschossen wurde. Dazu kommt, dass es ausgerechnet unter einem israelischen Premierminister passierte, der kompromissbereit war wie keiner seiner Vorgänger. Die Unruhen brachen aus vor dem Hintergrund der palästinensischen Frustration über einen, wie sie es sehen, zionistischen Sieg auf ihre Kosten. Selbst nach Beginn des Friedensprozesses hat sich nicht viel für sie verändert. Seit sieben Jahren wird verhandelt, und die Palästinenser haben noch immer keinen eigenen Staat. Ein weiterer Grund ist, dass Arafat sein Volk nicht auf den Verzicht vorbereitet hat. Bei vielen lebt die Vision von Großpalästina unverändert fort.

Welche Spuren hat die Krise innerhalb der israelischen Gesellschaft hinterlassen?

Die israelischen Linken glaubten gern, dass die Palästinenser zu einer besseren, gemeinsamen Zukunft bereit sind. Barak hatte ihnen alles versprochen, und dann stehen sie uns plötzlich mit Waffen gegenüber. Aber entscheidend für die israelische Gesellschaft ist vor allem, dass sich die arabischen Israelis dem Kampf angeschlossen haben. Es war ein Fehler zu glauben, dass sie dem Staat treu sind. Die arabischen Israelis sind eine Zeitbombe. Sie wollen Autonomie, vielleicht zunächst nur kulturell. Die Sache der Identität ist viel wichtiger als die wirtschaftliche Situation.

Glauben Sie, dass Arafat dem Frieden im Wege steht? Wäre es mit einem anderen Palästinenserpräsidenten einfacher?

Denkbar wäre es. Es ist ihm immer nachgesagt worden, dass er ein unangenehmer Gesprächspartner ist, ein Heuchler und Bluffer. Das stimmt alles. Vielleicht könnte ein anderer tatsächlich etwas ändern.

Barak setzt seine Anstrengungen in Richtung Einheitsregierung fort. Welche Auswirkungen hätte eine solche Koalition auf den Frieden?

Unter einer Regierung, in der Ariel Scharon sitzt und die Hälfte der Minister zum rechten Lager gehören, kann es keinen Frieden geben. Frieden ist nur mit Kompromissen möglich, und dazu ist die Rechte nicht bereit. Eine Einheitsregierung würde den Prozess lähmen.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL