junge Welt,18.10.2000

Yassir allein zu Haus

Einigung bei Nahost-Gipfel von Anhängern Arafats nicht akzeptiert.

Von Rüdiger Göbel

Insgesamt viermal ist US-Präsident William Clinton mit dem israelischen Ministerpräsidenten in Scharm el Scheich zu Vier- Augen-Gesprächen zusammengekommen. Und dreimal, wird kolportiert, nahm der erste Mann Amerikas Palästinenserpräsident Yassir Arafat ins Gebet, bis Clinton schließlich am Dienstag mittag in dem ägyptischen Badeort doch noch vor der reichlich versammelten Weltpresse eine »Einigung« und »echte Fortschritte« zwischen beiden Seiten, Israelis und Palästinensern, verkünden konnte. Barak und Arafat hätten sich demnach beim Nahost-Notkrisengipfel auf die »Beendigung der Gewalt in den Autonomiegebieten« geeinigt. Eine schriftliche Vereinbarung darüber gibt es nicht.

Was bleibt, ist die Erklärung des US-Präsidenten. Vorgesehen ist demnach, daß Israel wieder die Abriegelung des Westjordanlandes und des Gazastreifens aufhebt und daß eine internationale »Fact-Finding-Mission« gebildet wird. Über die Bildung der internationalen Kommission sollen laut Clinton die USA in Absprache mit der palästinensischen und der israelischen Seite sowie mit UN-Generalsekretär Kofi Annan entscheiden. Arafat hatte ursprünglich eine unabhängige Untersuchungskommission unter Führung der UNO gefordert, um zu klären, wer die Verantwortung für die jüngsten Zusammenstöße in Israel und den Palästinensergebieten trägt. Israel hatte dies partout abgelehnt, herausgekommen ist ein Kompromiß, von dem niemand weiß, welche konkrete Umsetzung er erfahren wird.

War von den Palästinensern die Teilnahme Arafats bereits im Vorfeld und während der Gespräche in Ägypten mehrheitlich kritisiert worden, setzte Marwan Barguti am Dienstag unmittelbar nach Gipfelende noch eins drauf. Bei einer Kundgebung in Ramallah kündigte der Fatah-Chef des Westjordanlandes die Fortsetzung des Palästinenseraufstands an. Die Al-Aqsa-Intifada geht weiter. Für Barguti ist der Gipfel in Scharm el Scheich »gescheitert«, hat er doch die Ursachen für die Palästinenserrevolte nicht beseitigt. »Der Aufstand wird weitergehen, so lange die israelische Besatzung andauert, das ist die Entscheidung des palästinensischen Volkes«, ist sich Fatah-Politiker Barguti sicher. Ein offener Affront, ja eigentlich Putsch gegen Fatah-Chef Yassir Arafat.

Auch Hamas-Chef Scheich Ahmed Jassin kündigte am Dienstag die Fortführung des Kampfes gegen die israelische Okkupation an. Damit stehen alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte in den Palästinensergebieten gegen Yassir Arafat.

Wie soll der aber auch, mit nichts in den Händen, vor den Palästinensern eine »Eingigung über das Ende der Gewalt« vermitteln, wenn erst am Dienstag in Beit Furik wieder einer der Ihren erschossen wurde. Der Bauer hatte mit 150 anderen Palästinensern Oliven geerntet, als vier bewaffnete Männer Augenzeugen zufolge aus der nahegelegenen jüdischen Siedlung Itamar auf die Landarbeiter mit Sturmgewehren zu schießen begannen. Bei einer Demonstration am Grenzübergang Eres zwischen Israel und dem Gazastreifen schließlich wurden zehn Palästinenser durch Soldatenfeuer verletzt, einer von ihnen schwer. Am Montag, dem ersten Gipfeltag, hatten israelische Soldaten einen 13jährigen Palästinenser und einen palästinensischen Polizisten erschossen.

Die neue palästinensische Intifada brach aus, nachdem der israelische Rechtspolitiker Ariel Scharon - in arabischen Kreisen wird er seit den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila 1982 unweit der libanesischen Hauptstadt Beirut kurz »der Schlächter« genannt - am 28. September demonstrativ einen Rundgang zu den heiligen moslemischen Stätten auf dem Jerusalemer Tempelberg unternommen hatte. Für die Palästinenser war der Auftritt vor der Al-Aqsa-Moschee eine klare Provokation. Und sie ging auf. Insgesamt kamen in den letzten zweieinhalb Wochen 110 Menschen ums Leben, mehr als hundert Palästinenser und arabische Israelis.

Auf Antrag der Arabischen Liga und der Organisation der Islamischen Konferenz befaßt sich seit Dienstag die UN- Menschenrechtskommission in Genf in einer Sondersitzung mit der Gewalt in den Palästinensergebieten. Ziel ist die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission durch die Vereinten Nationen und die Entsendung von UN- Menschenrechtskommissarin Mary Robinson in die Region. Sie soll »systematische Menschenrechtsverletzungen durch die israelischen Streitkräfte« untersuchen.