Berliner Zeitung, 17.10.2000

Türkisch-amerikanische Beziehungen belastet

US-Repräsentantenhaus wirft der Türkei Völkermord an Armeniern vor

Thomas Götz

ROM, 16. Oktober. Eine Resolution, die diese Woche im US-Repräsentantenhaus zur Abstimmung kommen soll, belastet die türkisch-amerikanischen Beziehungen. Der Text definiert die Ermordung und Vertreibung hunderttausender Armenier aus dem osmanischen Reich zwischen 1915 und 1923 als Genozid, also Völkermord. Der US-Präsident wird aufgefordert, in seinen Äußerungen zum Thema auch dieses Wort zu verwenden.

Seit Wochen versucht die Türkei zu verhindern, dass die Resolution eine Mehrheit bekommt. Das Komitee für internationale Beziehungen des Repräsentantenhauses nahm den Text aber Anfang Oktober mit großer Mehrheit an. Für die Türkei, die mit schweren Geschützen aufgefahren war, bedeutete dies eine schwere Niederlage. In seltener Geschlossenheit hatten Regierung, Opposition, der Staatspräsident und die Militärs die Durchsetzung der Sprachregelung zu verhindern versucht. Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer hatte sogar den US-Botschafter in den Präsidentenpalast berufen, um ihm die schwer wiegenden Auswirkungen auf die türkisch-amerikanischen Beziehungen auseinander zu setzen.

Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu riet den USA zu Zurückhaltung mit dem Wort Völkermord angesichts der eigenen Geschichte. Er drohte mit der Stornierung von Aufträgen der Armee, die amerikanische Firmen treffen würden. In der Türkei sind vor allem die Firmen Bell Helikopter, Boeing, Raytheon und General Dynamics engagiert.

Die Clinton-Regierung hat sich angesichts der vom türkischen Botschafter vorgebrachten Drohungen vehement gegen die Verabschiedung der Resolution ausgesprochen. Vor allem die Drohung, die Nato-Luftwaffenbase Incirlik zu schließen, alarmierte die Regierung. Von Incirlik aus überwachen amerikanische Kampfflugzeuge die No-Fly-Zone im Nordirak.

Die Aufregung in der Türkei mag überraschen. Schließlich hatte das US-Repräsentantenhaus schon vor Jahren eine Resolution verabschiedet, in der explizit von Völkermord die Rede war. Bill Clinton hat in seinen Stellungnahmen zwar stets die von armenischen Historikern genannte Zahl von 1,5 Millionen Opfern übernommen, das Wort Völkermord aber stets vermieden.

Nach einer kurzen Schrecksekunde ging die türkische Regierung nach der Verabschiedung im Unterausschuss daran, ihre Drohungen wahr zu machen. In der letzten Woche begannen trotz des Embargos Flüge mit Hilfsgütern nach Bagdad. Ein zweiter Grenzübergang zum Irak soll demnächst eröffnet werden. Der türkische Energieminister Cumhur Ersümer erteilte der staatlichen Erdölgesellschaft Botas den Auftrag, die nach dem Golfkrieg gesperrte 986 Kilometer lange Pipeline vom Irak zum Mittelmeerhafen Ceyhan wieder betriebstüchtig zu machen.

Die Oppositionspolitikerin Tansu Ciller schlug die drastischste Vergeltungsmaßnahme vor. Sie tritt für die Ausweisung der 30 000 in der Türkei lebenden Armenier ein, die keinen türkischen Pass haben. Wie auch die Regierungsvertreter sieht Ciller in der Resolution ein Komplott des Nachbarstaates zur Schädigung des Ansehens der Türkei. Ein Genozid, so sind sich türkische Politiker einig, habe nie stattgefunden. Allenfalls könne man von "Verlusten" der Armenier im Zuge der "notwendigen Umsiedlungen" sprechen. Die Verlustziffer von 1,5 Millionen wird als weit übertrieben bezeichnet.

Eine Auflistung der Verbrechen an Armeniern hat das Armenian National Institute aufgelistet

www.armenian-genocide.org

"Es handelt sich allenfalls um Verluste der Armenier im Zuge der notwendigen Umsiedlungen. " Tansu Ciller