Süddeutsche Zeitung, 17.10.2000

US-Präsident Bill Clinton beim Krisengipfel in Scharm el-Scheich:

"Wir können uns ein Scheitern nicht leisten"

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak fordert Frieden für alle Beteiligten auf gleichberechtigter Basis / Von Heiko Flottau
Kairo - Zu Beginn der Gipfelkonferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich hat US-Präsident Bill Clinton vor einem Fehlschlag gewarnt. "Wir können uns ein Scheitern nicht leisten", sagte Clinton. Er forderte die streitenden Parteien auf, die gegenseitigen Schuldzuweisungen einzustellen. Als Hauptziele der Konferenz nannte Clinton die Beendigung der Gewalt und eine Wiederbelebung des Friedensprozesses. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak forderte als Gastgeber des Treffens einen "Frieden für alle Beteiligten auf gleichberechtigter Basis". Bei neuen Unruhen wurde in Bethlehem ein Palästinenser erschossen.
Der ägyptische Präsident erklärte, die "Aggressionen", welchen die Palästinenser ausgesetzt gewesen seien, hätten ihn zur Einberufung der Konferenz veranlasst. Man hätte, fügte Mubarak hinzu, diese Aktionen von vornherein verhindern müssen. Eine Fortsetzung von Gewalt und Blutvergießen hätte verheerende Folgen für die gesamte Region. Er hoffe, dass die Konferenzteilnehmer der Herausforderung des Friedens gewachsen seien. Ohne diese Fähigkeit "würden wir eine historische Chance vergeben", sagte Mubarak.
US-Präsident Clinton nannte als weiteres Ziel der Konferenz ein Übereinkommen, das den Hergang der Ereignisse darlegen soll. Ziel dieser Übereinkunft müsse es sein, eine Wiederholung der Gewalt der vergangenen zweieinhalb Wochen zu vermeiden. Javier Solana sagte als Vertreter der Europäischen Union, die Ausarbeitung eines Mechanismus zur Untersuchung der Ursachen sei ein Problem, über das sich Tagungsteilnehmer aber vielleicht verständigen könnten. Clinton erinnerte den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und Palästinenser-Führer Jassir Arafat daran, wie weit sie seit Beginn des Friedensprozesses im Jahr 1993 in Oslo gekommen seien. Die Ereignisse der vergangenen Wochen sollten nicht dazu führen, diese Fortschritte aufzugeben, warnte Clinton. Diese Ereignisse hätten zudem allen Beteiligten die verheerende Alternative zu weiteren Friedensverhandlungen klar gemacht, sagte Clinton.
Barak hat "genug von Arafat"
An der Konferenz in Scharm el-Scheich nehmen neben Clinton, Mubarak, Barak, Arafat und Solana auch UN-Generalsekretär Kofi Annan, König Abdallah II. von Jordanien und die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright teil. Russland war nicht vertreten.
Russland sei nicht eingeladen worden, sagte Außenminister Igor Iwanow in Moskau. Vor Eröffnung des Treffens hatten Barak und Arafat in Anwesenheit Clintons und anderer Konferenzteilnehmer kurz miteinander gesprochen. Einzeln sprachen Barak und Arafat mit anderen Konferenzteilnehmern. Dem ägyptischen Präsidenten Mubarak nannte Barak die Bedingungen Israels für ein Ende der Blockade palästinensischer Städte: erst müsse Arafat die kürzlich freigelassenen Mitglieder der islamischen Widerstandsbewegung Hamas wieder festsetzen. Außerdem müsse Arafat seinen Polizeikräften verbieten, während der Demonstrationen auf israelische Soldaten zu schießen. "Letztlich", sagte Barak, "werden wir mit den Palästinensern Frieden schließen." Aber die gegenwärtige palästinensische Führung sei offenbar nicht in der Lage, die entsprechenden Beschlüsse zu fassen, kritisierte Barak Arafat, ohne ihn namentlich zu nennen. Nach Angaben seines Sprechers hat Barak "genug von Arafat". In einer Regierungserklärung lehnte Barak erneut eine internationale Untersuchungskommission der Gewaltursachen ab. Er werde nur eine israelisch-palästinensische Kommission unter der Leitung der USA akzeptieren.Dies lehnen jedoch die Palästinenser ab, weil sie die USA für parteiisch halten, und fordern stattdessen eine Beteiligung der Europäer.
Vor der Konferenz hatte sich auch Arafat unversöhnlich gezeigt: "Wir sind so lange auf dem Weg nach Jerusalem, bis ein palästinensisches Kind die palästinensische Flagge auf den Mauern Jerusalems hisst", hatte Arafat gesagt. Arafats Chefunterhändler Saeb Erekat meinte, Barak habe eine "Ausstiegsstrategie" aus dem Friedensprozess gewählt. Falls das Gipfeltreffen scheitere, werde "die Hölle los sein", betonte Erekat.
Bei Zusammenstößen im Westjordanland und im Gazastreifen wurden mehr als 50 Palästinenser und zwei israelische Soldaten verletzt. Tausende Menschen demonstrierten gegen das Gipfeltreffen und forderten Arafat auf, "dem Druck der USA und Israels zu widerstehen". In Bethlehem wurde ein palästinensischer Jugendlicher von israelischen Soldaten erschossen.