Frankfurter Rundschau, 17.10.2000

Irans Inquisitoren war er schon lange ein Dorn im Auge

Theologe Eshkevari nahm im April an einer von Teheran verdammten Tagung in Berlin teil - nun droht ihm die Todesstrafe

Von Ahmad Taheri (Frankfurt a. M.)

Das "Sondergericht für die Geistlichkeit", eine Art iranische Inquisition, hat wieder zugeschlagen. Das Opfer heißt Hassan Yussefi Eshkevari. Dem Reformtheologen werden neben Verneinung islamischer Grundsätze, Beleidigung der Führung und Gefährdung der nationalen Sicherheit auch Abfall vom Glauben, Kampf gegen Gott und "Verderbnis auf Erden" vorgeworfen.
Auf die drei letzten Anklagepunkte steht in der Islamischen Republik die Todesstrafe. Der Prozess, dessen letzter Verhandlungstag am vergangenen Samstag war, fand hinter geschlossenen Türen statt. Dem Angeklagten wurde ein Anwalt seiner Wahl verweigert. Das Urteil soll in den nächsten Tagen verkündet werden.
Der 50-jährige Eshkevari, Absolvent des theologischen Seminars in der heiligen Stadt Qom, hatte im April mit 16 weiteren islamischen und säkularen Intellektuellen aus Iran an einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin teilgenommen. Dort hatte er in aller Deutlichkeit für die Trennung von Staat und Religion plädiert. Noch während Eshkevari sich im Ausland aufhielt, erließ das "Sondergericht" einen Haftbefehl gegen ihn. Doch am 5. August kehrte der Theologe nach Teheran zurück, obwohl er wusste, was ihn zu Hause erwartete. Sein Wort, so erklärte er damals, habe nur in der Heimat Gewicht.
Ein Tag nach seiner Ankunft wurde Eshkevari verhaftet. Während die meisten Teilnehmer der Berliner Konferenz, die nach ihrer Rückkehr in Haft genommen worden waren, inzwischen gegen eine hohe Kaution freigelassen wurden, blieb der Geistliche, der an schwerer Diabetes leidet, im berüchtigten Evin-Gefängnis.
Eshkevari war seit Jahren ein Dorn im Auge der iranischen Fundamentalisten. In Artikeln in den Reformblättern forderte er eine historische Revision der islamischen Traditionen. Bei Kritik aus den eigenen Reihen sieht der schiitische Klerus rot. Die Konferenz in Berlin war für die konservativen Mullahs ein gefundenes Fressen, mit dem unbotmäßigen Kollegen abzurechnen und ein Exempel zu statuieren - denn unter den jungen Geistlichen werden die kritischen Stimmen gegen die "Herrschaft des Rechtsgelehrten", Prinzip des theokratischen Staates, immer lauter. Hinzu kommt, dass Eshkevari und seine Mitstreiter zum radikalen Teil der Reformbewegung gehören, die Staatspräsident Mohammad Khatami unterstützt.
Inzwischen haben 350 iranische Reformer in einem offenen Brief das Parlament und den Staatschef aufgefordert, sich für Eshkevari einzusetzen. Auch in Deutschland wendeten sich 40 Vertreter aus Politik, Kirche und Kultur, darunter der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, in einem "dringenden Appell" an den Vorsitzenden der iranischen Justiz, Ayatollah Mahmoud Hashemi Shahroudi. "Es ist für uns nicht nachvollziehbar", heißt es in dem Schreiben, "dass Menschen gerade deshalb angeklagt werden, weil sie von ihrem Recht als Individuum Gebrauch gemacht und ihre religiösen und gesellschaftlichen Ansichten öffentlich geäußert haben. (. . .) Wir möchten Sie, Exzellenz, eindringlich bitten, zu veranlassen, dass die Rechte von Yussefi Eshkevari gewahrt werden, dass der Prozess gegen ihn wenn nicht eingestellt, dann zumindest öffentlich geführt wird und er, wie es in jeder zivilen Gesellschaft üblich ist, das Recht erhält, sich selbst und mit Hilfe eines Anwalts seiner Wahl zu verteidigen."
Es wird allen öffentlichen Nachdrucks bedürfen, damit diese Appelle in Teheran Gehör finden. Der derzeitige Justizchef hat sich bisher als treuer Gefolgsmann von Revolutionsführer Said Ali Khamenei erwiesen.