Frankfurter Rundschau, 16.10.2000

Nahost-Gipfel soll Gewalt beenden

Erwartungen gedämpft / Wieder Entführung eines israelischen Soldaten gemeldet

Von Inge Günther

Die Krise in Nahost hat sich verschärft, nachdem die Hisbollah am Sonntag in Beirut die erneute Entführung eines israelischen Soldaten bekannt gab. Die Hoffnungen, dass ein für Montag anberaumter Gipfel im ägyptischen Badeort Scharm-el-Scheich ein dauerhaftes Ende der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern erzielen kann, sind gedämpft.

JERUSALEM, 15. Oktober. Nur auf hartnäckiges Drängen der USA sowie von UN-Generalsekretär Kofi Annan hin willigten Israels Premier Ehud Barak und Palästinenser-Präsident Yassir Arafat in das Treffen ein, ohne Vorbedingungen zu stellen. Teilnehmen werden auch US-Präsident Bill Clinton sowie der Gastgeber, Staatschef Hosni Mubarak, als Vermittler. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich zur Teilnahme an dem Krisengipfel "auf gleicher Ebene wie alle anderen Teilnehmer" bereit erklärt, hieß es.

Vorrangiges Ziel des Gipfels ist es, eine Waffenpause zwischen den Konfliktseiten auszuhandeln. In einer Erklärung des israelischen Kabinetts hieß es, man wolle einen "Mechanismus" als Prävention gegen neue Gewaltakte etablieren. Gefordert wurde insbesondere, dass die palästinensischen Autonomiebehörden entlassene Mitglieder der Islamisten-Organisationen Hamas und Dschihad wieder inhaftiere. Auch müsse Arafat Schritte unternehmen, um künftigen Missbrauch von Schusswaffen seitens der Tansim, einer militanten Untergruppe des PLO-Mehrheitsflügels Fatah, sowie der palästinensischen Polizei zu verhindern. Außerdem verlangt Israel die Einstellung hetzerischer Propaganda seitens palästinensischer Medien sowie Sicherheitsgarantien für jüdische Stätten in den Autonomiegebieten.

Zweifel an einem Gelingen des Gipfels hegt Barak dennoch. Er sei zwar überzeugt, dass "wir am Ende Frieden mit den Palästinensern schließen"; leider aber sei "die gegenwärtige Führung der Palästinenser nicht reif für den Frieden", sagte Barak in einer am Sonntag veröffentlichten Regierungserklärung.

Gerechnet wird damit, dass Arafat in Scharm-el-Scheich wie zuvor bei dem Vermittlungsversuch in Paris auf einer internationalen Kommission beharrt, um das Vorgehen der israelischen Armee gegen palästinensische Demonstranten untersuchen zu lassen. In den über zweiwöchigen Unruhen sind bislang 100 Palästinenser getötet worden. Arafat steht daher intern unter Druck, mit den Israelis keine Kompromisse einzugehen.

So betonte Fatah-Chef und Westbank-Kommandant der Tansim, Marwan Barghouti, dass die Gipfelteilnahme der Autonomie-Regierung kein Signal sei, die "Intifada der Unabhängigkeit" zu beenden. Der "Aktionsplan" werde weiter gehen bis zur Errichtung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt.

Seitens diplomatischer US-Quellen hieß es wiederum, Clinton wolle die Konfliktpartner mit einer Formel zusammenbringen, die sowohl einen Waffenstillstand als auch die Verurteilung von Gewalt ohne jede Schuldzuweisung beinhalte.

Derweil setzte am Wochenende Barak das Gespräch mit dem rechten Oppositionsführer Ariel Scharon fort. Einem Bericht der israelischen Zeitung Maariv zufolge wurde ein Entwurf für eine Notstandsregierung erarbeitet. Er basiere auf einer "einseitigen Separation" zwischen Israel und den Palästinensern. Sollte Arafat unilateral einen Staat Palästina ausrufen, würde Israel dessen Grenzen in der Luft, auf dem Land und zu Wasser alleine kontrollieren und zudem die Siedlungsblöcke im Westjordanland annektieren. Likud-Chef Scharon warnte am Sonntag, seine Partei werde Barak stürzen, falls der in Scharm-el-Scheich sich zu seinem alten Konzept im Friedensprozess bekenne.

Unklarheit herrschte in Jerusalem über die neue Geiselnahme der pro-iranischen Hisbollah. Nach inoffiziellen Angaben handelt es sich um einen israelischen Reserveoffizier, der während eines Aufenthalts in Europa entführt worden sein soll.