taz Bremen 16.10.2000

Schulte will Kriegsflüchtlingen helfen

Innensenator Bernt Schulte (CDU) kommt VertreterInnen von Psychosozialen Zentren ein wenig entgegen / Ihr Ziel, ein Bleiberecht für traumatisierte Flüchtlinge, liegt noch in weiter Ferne

"Warum beschließt die Heimatstadt von Hans Koschnick und Marieluise Beck nicht wie Konstanz und Solingen, dass traumatisierte Kriegsflüchtlinge hier bleiben können?" Das fragte am Ende der zweistündigen Debatte über die Zukunft der verbleibenden bosnischen Flüchtlinge in Deutschland Jochen Killing, der Personalratschef des Zentralkrankenhauses Ost, der als Zuhörer gekommen war. "Die bosnische Gemeinde in Bremen zittert vor der Entscheidung der Innenminister im November."

Zuvor hatte der Bremer Innensenator Bernt Schulte (CDU) bei der Abschlussdebatte der Jahresfachtagung der "Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer" (Baff) am Samstag in der Stephaniegemeinde die Minderheitenposition vertreten: Das Ziel der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen sei deren Rückkehr ins Herkunftland. Ein generelles Bleiberecht für Traumatisierte könne es nicht geben - "schon um späteren Situationen nicht vorzugreifen".

Der "Sachverständige für die gegenwärtige gesetzliche und politische Realität" - so Schulte über seine Rolle am Samstag - bewegte sich dann aber doch ein wenig auf die fachliche Mehrheitsmeinung zu. Als nach Ausführungen der Bundesausländerbeauftragten Marieluise Beck (Grüne) und der Präsidentin der Bremer Ärztekammer, Ursula Auerswald, schließlich der Oldenburger Professor Rolf Meinhardt feststellte: "Ich freue mich, dass Sie gesagt haben, traumatisierte Menschen, die sich dafür entscheiden, sollen bleiben können", nickte Schulte ernst. "Ich bin sehr dazu bereit, dieses Postulat ernst zu nehmen."

Zuvor hatte der Innensenator ein Plädoyer für beiderseitiges Verständnis gehalten. Vorwürfen aus dem Publikum - von ÄrztInnen, AnwältInnen, FlüchtlingshelferInnen, PsychologInnen -, dass er sich für die Kriegsflüchtlinge nicht beispielhaft einsetze, war er entgegengetreten. Das kleine Bremen könne mit einem Vorpreschen mehr zerstören als helfen. "Nicht nur in der Therapie, auch in der Politik muss man sensiblen Umgang pflegen", erklärte Schulte.

Viele Anwesenden verstanden dennoch nicht, wieso Schulte nicht wenigstens nach einer Verordnung des Bundesinnenministeriums im Sommer veranlasste, die aufenthaltsrechtlich stabileren Befugnisse zu erteilen. "Das tat nur Schleswig-Holstein", so Beck. Hier aber haben die verbleibenden paar hundert BosnierInnen nur eine Duldung bis zum 30. November. "Neun Ex-Internierte und 40 schwer Traumatisierte mit ihren Familien - ich kann nicht verstehen, dass Sie diesen Menschen keine Befugnis erteilt haben", wetterte aus dem Publikum Rechtsanwalt Holger Hoffmann. "Stellen Sie sich vor, die Amerikaner hätten die jüdischen Überlebenden aus den KZs erst in den USA aufgepäppelt und dann nach Deutschland zurückgeschickt."

Die Geschichte wurde am Samstag mehrmals bemüht. Therapeut-Innen, aber auch die Bundesausländerbeauftragte beobachten, dass Deutschland im europäischen Vergleich "spät dran" sei, sich mit den Folgen von Traumatisierung durch Folter wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Kein Zufall vielleicht, angesichts der deutschen Vergangenheit - aber schmerzhaft für die Flüchtlinge von heute. Die müssen deshalb - anders als in Holland, Schweden oder Norwegen - immer die Ausweisung befürchten. Sich vor diesem Hintergrund überhaupt zu öffnen und erlittene Qualen schmerzhaft wieder zu durchleben, sei eine enorme Anforderung. Eine Zumutung aber seien die Stichtage, bis zu denen entsprechende Berichte vorgelegt werden mussten.

"Diese Stichtagsregelung muss weg", forderte denn auch Marieluise Beck energisch. "Jeder weiß doch, dass das Wesen des Traumas ist, dass der Deckel so lange wie möglich drauf bleibt." Kein Wort der Kritik an Schulte, der noch am Donnerstag in einem Buten&Binnen-Interview von verspäteten und deswegen dubiosen Krankheitsmeldungen gesprochen hatte. Auch Ursula Auerswald stützte die Forderung nach der Abschaffung des Stichtags. Späte Offenbarung sei auch beim Notruf für vergewaltigte Frauen in Bremen bekannt. Auch setze sich die Bundesärztekammer für eine fachlich und ethisch vertretbare Regelung für die Flüchtlinge ein - die mit den ausländerrechtlichen und politischen Zielen nicht vereinbar sei. Das politische Ziel von TherapeutInnen und BeraterInnen - "wir wollen unsere therapeutische Arbeit machen und nicht immer für deren Rahmenbedingungen kämpfen müssen" - bleibt jedoch vorerst in weiter Ferne. Ein Bleiberecht für Traumatisierte wird es nach der Einschätzung von Marieluise Beck auch am 15. November nicht geben. Sie hat eine Besuchsserie bei den Innenministern schon hinter sich, bei der sie die jeweiligen politischen Prinzipien auch mit fachlich-medizinischen konfrontierte. "Aus dem Krankheitsbild des posttraumatischen Belastungssyndroms folgt, dass Rückkehr nicht geht", weiß sie. "Das versuchen wir derzeit den Innenministern, Land für Land, beizubringen." ede