junge Welt, 16.10.2000

Angst vor der Staatsmacht

Hamburg: Togoerinnen nach Sprung aus Fenster schwer verletzt. Kritik an Residenzpflicht«

Als es an der Tür klopfte und jemand »Aufmachen, Ausländerpolizei!« rief, gab es kein Halten für die beiden Frauen aus Togo. In Panik rissen sie das Fenster auf und stürzten sich aus dem vierten Stock. Dies ist kein Horrorszenario eines Filmes, sondern Realität in der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg in der vergangenen Woche: Ein Bekannter der afrikanischen Asylbewerberinnen wollte sich mit seinem Spruch an der Tür einen »Scherz« erlauben. Aber in Deutschland ist mit solchen Sprüchen nicht zu spaßen. Den Frauen in Hamburg jedenfalls hätte dieser makabere Spaß beinahe das Leben gekostet. Beide liegen schwerverletzt in einem Krankenhaus. Eine hatte dabei noch Glück im Unglück, sie trug »lediglich« Knochenbrüche davon und wird wieder vollständig gesund werden. Die andere in Panik gesprungene Afrikanerin lag mehrere Tage im Koma, und inzwischen steht fest, daß sie den Rest ihres Lebens im Rollstuhl verbringen muß.

Beide Frauen sind Mitglieder im Vorstand der »African Refugee Association« (ARA), einer afrikanischen Flüchtlingsorganisation mit Hauptsitz in Hamburg. Beide besitzen gültige Aufenthaltspapiere als Asylbewerberinnen für die BRD, doch sind sie offiziell einem andern Bundesland »zugeteilt«. Die sogenannte Residenzpflicht verbietet es ihnen, den von den Behörden zugewiesenen Landkreis ohne Genehmigung zu verlassen. Eine Erlaubnis dazu wird nur in »begründeten Ausnahmefällen« erteilt und kostet außerdem Geld, das die beiden Flüchtlingsfrauen nicht hatten. Aus diesem Grund waren sie aus Sicht von Polizei und Ausländerbehörde »illegal« in Hamburg. So unerwünscht, daß die Behörden ihnen nicht einmal Gelegenheit geben wollen, ihre Genesungszeit in Hamburg zu verbringen. Eine der beiden Afrikanerinnen wurde, trotz ihrer schweren Verletzungen, inzwischen für transportfähig erklärt. »Bundesregierung und Hamburger Senat betreiben mit ihrer rassistischen Asylpolitik Ausgrenzung von Flüch tlingen«, erklärte Cornelia Gunßer vom Hamburger Flüchtlingsrat gegenüber jW dazu. »Die Residenzpflicht ist eine zusätzliche Beschränkung des Menschenrechts auf Bewegungsfreiheit.« Flüchtlinge dürfen sich sowieso nur innerhalb der Grenzen des Staates aufhalten, in dem sie Asyl beantragt hätten. Und in der BRD - übrigens einmalig in Europa - nicht einmal das.

Verstöße gegen diese Residenzpflicht werden mit Bußgeld geahndet, in manchen Fällen wurde sogar wegen »Wiederholungsgefahr« und als »abschreckende Maßnahme« die Ausweisung von den zuständigen Behörden angedroht. Diese amtliche »Residenzpflicht« sei und bleibe das wirksamste Repressionsmittel gegen Flüchtlinge, heißt es in einem Flugblatt der Organisation »The Voice - Africa Forum«. Es sei das effektivste Mittel, Asylsuchende zu kriminalisieren. Viele Migranten wissen inzwischen, daß eine Duldung häufig das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt ist und Asylsuchende nicht vor Abschiebung schützt. Sie leben in ständiger Angst vor Personenkontrollen und davor, nachts von der Polizei zu Hause abgeholt und in Abschiebehaft genommen zu werden. »Auch wenn es >nur< ein makabrer Scherz eines Bekannten war«, so Gunßer, »Vorfälle wie dieser zeigen, daß Menschen hier in der BRD in so großer Angst vor Abschiebung leben, daß sie lieber den Tod riskieren, als der Polizei in die Hände zu fallen.«

Birgit Gärtner