web de 15.10.2000 09:06

«Die Palästinenser haben nichts mehr zu verlieren»

Arabische Welt sieht palästinensischen Aufstand als beste Option gegen Israel - Forderungen nach Krieg

Von AP-Korrespondent Hamza Hendawi

Beirut (AP) Nach über zweiwöchigen blutigen Kämpfen zwischen Palästinensern und Israelis drängen internationale Vermittler wie die Vereinten Nationen, die USA oder die EU die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch. Dagegen solidarisieren sich in der arabischen Welt Medien und viele Regierungschefs mit den Anliegen der Palästinenser und fordern die Fortführung des Aufstands. Zeitungen, Rundfunksender und politische Fernsehmagazine vermitteln in diesen Tagen das Motto Krieg statt Frieden.

Seit dem Besuch des rechtsgerichteten israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg sind bei blutigen Straßenschlachten fast 100 Menschen getötet worden, die überwiegende Mehrheit davon Palästinenser. Die Fernsehbilder von israelischen Kampfhubschraubern, die Gebäude der palästinensischen Autonomiebehörde beschießen, erzürnten die arabische Welt und ließen den Ruf nach einem Heiligen Krieg laut werden.

«Wo bleibt die ägyptische Armee?» skandierten hunderte ägyptische Demonstranten am Freitag in Kairo. Der irakische Präsident Saddam Hussein und sein jemenitischer Kollege Ali Abdullah Saleh forderten ebenfalls offen einen Krieg gegen Israel.

Doch die arabischen Staaten haben in diesem Jahrhundert einen Krieg nach dem anderen gegen Israel verloren und daraus die Lehre gezogen, dass Waffen kein geeignetes Mittel gegen den ungeliebten Nachbarn sind. Die den 250 Millionen Arabern an Bevölkerungszahl weit unterlegenen Israelis haben ihre Gegner in den Kriegen von 1948, 1956 und 1967 besiegt. Bei dem letzten Waffengang 1973 erzielten die arabischen Staaten zwar zunächst Erfolge, büßten diese aber im späteren Verlauf weitgehend wieder ein.

Die USA, die Schutzmacht Israels, sorgen seit Jahrzehnten dafür, dass die konventionellen Waffen des jüdischen Staates denen der arabischen Nachbarn weit überlegen sind, zudem soll Israel über Atomwaffen verfügen. «Man kann keine Zahlen zusammenzählen, um zu beurteilen, welche Seite im Vorteil ist», glaubt der Armeeexperte Christopher Foss, der für die Militärzeitschrift «Jane's Defense Weekly» schreibt. «Es hängt alles von der Ausbildung und der Motivation ab. Israel hat eine kampferprobte Truppe.»

Obwohl die gesamte Region das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser als exzessiv verurteilt, setzt der ägyptische Präsident Husni Mubarak auf Vermittlung. Ägypten, das bevölkerungsreichste arabische Land führte vier Kriege gegen Israel, bevor der damalige Präsident Anwar el Sadat 1979 als erster arabischer Regierungschef einen Friedensvertrag mit dem jüdischen Staat unterzeichnete. Jordanien folgte dem Beispiel 1994. Syrien verfolgt seit 1990 die Linie, die 1967 von Israel besetzten Golanhöhen auf dem Verhandlungsweg zurück zu erhalten.

«Die arabischen Führer wollen keinen Krieg gegen Israel, und das ist klug», sagte Ali Ansari, der an der britischen Universität Durham Vorlesungen über die Region hält. «Sie wissen, dass genau dies Israels Stärke ist. Es ist viel schwerer für Israel, mit Steine werfenden Frauen und Kindern umzugehen.» So beobachtet die arabische Welt, wie Palästinenser mit Steinen und Gewehren gegen israelische Sicherheitskräfte kämpfen. Der Aufstand, die Intifada, scheint vielen das beste Mittel gegen Israel zu sein.

«Das Geheimnis der Intifada ist, dass die Palästinenser nichts mehr zu verlieren haben, weil sie schon ziemlich alles verloren haben», sagt Khaled Hroub, Nahost-Experte am Londoner Internationalen Institut für Strategische Studien. «Auf der anderen Seite kann Israel seinen Ruf und sein internationales Ansehen einbüßen.»

Gipfel der Arabischen Liga in Kairo

Viele Araber fürchten, dass die verhandlungsbereiten Regierungschefs den Gipfel der Arabischen Liga diesen Monat in Kairo dazu nutzen, auf ein Ende des Aufstands zu drängen. «Der arabische Gipfel ist ein Versuch, die Intifada zu zerstören», glaubt der palästinensische Aktivist Abdul Rachim Makdah, der in dem Flüchtlingslager Ein el Hilweh in Libanon lebt. «Stattdessen könnte es für die arabischen Führer eine goldene Gelegenheit sein, die Verbindung zu ihren Völkern zu stärken.»