junge Welt, 14.10.2000

Was macht eine politische Band in unpolitischen Zeiten?

Grup Yorum

* Die linke anatolische Grup Yorum wird durch den politischen Widerstand in der Türkei inspiriert. Am Sonntag beginnt sie in Berlin ihre Deutschlandtour. Inan, Volkan, Beril, Serdar, Cihan und Özgur gehören zur aktuellen Besetzung von Grup Yorum. Das Konzert findet ab 15 Uhr im Festsaal in der Grenzallee 33-35 in Berlin statt. Weitere Tourdaten: 22.10. Hamburg, 29.10. Köln

F: Wie ist die Grup Yorum entstanden?

Unsere Band wurde 1985 von Studenten in Istanbul gegründet. Es waren politische Aktivisten, die ihren Widerstand mit dem Medium der revolutionären, populären Musik ausdrücken wollten. In den letzten 15 Jahren haben über 40 Musiker unsere Band durchlaufen. Heute besteht Grup Yorum aus acht Mitglieder. »Yorum« heißt »Kommentar«, und der Name war und ist für uns Programm. Es geht um eine deutliche Kampfansage an die politischen Verhältnisse in der Türkei. Wir sind in erster Linie politische Aktivisten und erst in zweiter Linie Musiker.

F: Wie schaffen Sie es mit diesem politischen Anspruch, in der von Entpolitisierung geprägten türkischen Gesellschaft überhaupt wahrgenommen zu werden?

Auch wenn die linke Bewegung momentan auf der Stelle tritt, kann von einer Entpolitisierung in der Türkei keine Rede sein. Fast täglich gibt es politische Widerstandsaktionen. Aktuelles Beispiel ist die Kampagne gegen die Einführung von Isolationszellen für die politischen Gefangenen. Als Grup Yorum waren und sind wir Teil dieser Bewegungen. Wir sind auf der Straße, wenn die Bauern, die Arbeiter oder die Studenten protestieren. Diese Erfahrungen und persönlichen Erlebnisse sind die Inspiration für unsere Musik. Würden wir nur Parolen vertonen, wäre unsere Musik uninteressant. Weil wir unsere persönlichen Erfahrungen und Gefühle mit der Musik koppeln, interessieren sich die Menschen dafür. Sie merken, daß wir ihre eigenen Probleme in unseren Liedern ausdrücken. Nicht wenige Menschen in der Türkei haben über unsere Musik den ersten Kontakt zur Linken bekommen und sich anschließend politisiert.

F: Fühlen Sie sich dann nicht vereinnahmt, wenn ein türkischer Fernsehsender, wie kürzlich geschehen, einige Takte Ihres Liedes »Venceremos« einspielt, bevor Bilder über den Umsturz in Belgrad ausgestrahlt werden?

Dagegen haben wir nichts einzuwenden. Durch die Medien lernen uns viele Leute kennen und diskutieren unsere Inhalte. Wir würden uns freuen, wenn im Fernsehen auch die Video- Clips von uns gespielt würden. Doch dazu wird es sehr schnell kommen. Natürlich würden wir uns von Sendungen mit offen reaktionärem Inhalt distanzieren. Wir wollen auch nicht als musikalische Einlage zwischen zwei Mahlzeiten in Restaurants oder Diskotheken herhalten. Doch an solchen Orten werden wir nicht gespielt. Daher stellt sich die Frage der politischen Vereinnahmung gar nicht.

F: Wie gelingt es Ihnen, immer wieder neue Musiker für Grup Yorum zu gewinnen?

Es gibt einen Grup-Yorum-Chor, der sich in alevitischen Kulturhäusern und in den Armenvierteln trifft. Dort werden neue Talente ausgebildet. Die Menschen, die dort hinkommen, haben oft wenig Ahnung von Musik, werden aber ausgebildet. Natürlich geht es dabei nicht nur um die musikalische, sondern auch um die politische Schulung.

F: Ihren revolutionären Texten zum Trotz sind Sie musikalisch eher konservativ. Warum tauchen in Ihrer Musik weder Punk- noch HipHop-Elemente auf?

Wir stützen uns in erster Linie auf die populäre Musik Anatoliens. In der Türkei werden HipHop und Punk nicht als Protestkultur wahrgenommen. Auch wenn wir anerkennen, daß in Westeuropa und den USA Hip Hop- und Punkbands politische Themen ansprechen, bezweifeln wir, daß es die einzige kulturelle Form sein kann, um breite Kreise der Bevölkerung für den Kampf gegen den Imperialismus zu mobilisieren. Es reicht nicht aus, sich lediglich auf eine bestimmte Jugendszene zu stützen. Das kann eine kurze radikale Mode sein. Wir bemühen uns, Menschen aller Generationen zu erreichen und eine musikalische Ausdrucksform zu finden, die alle anspricht.

Interview: Peter Nowak/Arian Wendel