junge Welt, 13.10.2000

Rundfunksender abgemahnt
Das Auswärtige Amt reagiert verschnupft auf Kritik an seinen Lageberichten

Der bisweilen joviale Ton des von Joseph Fischer geleiteten Auswärtigen Amtes (AA) kann schnell umschlagen. Das mußte Albrecht Kieser erleben, dessen Hörfunkbeitrag »Asylrecht und Diplomatie - die Lageberichte des Auswärtigen Amtes« der Deutschlandfunk (DLF) im Mai ausgestrahlt hatte. Knapp zwei Wochen später ging ein Schreiben an die zuständige Redaktion, in dem das Amt forderte, »zukünftig ähnlich einseitige und unausgewogene Berichte wie die von Herrn Kieser« zu vermeiden. Die vertraulichen Lageberichte des AA dienen den Verwaltungsgerichten als Entscheidungsgrundlage bei Asylanträgen. Der grüne Staatssekretär im AA, Ludger Volmer, bemängelte nach seinem Amtsantritt, »der alten Regierung« sei es mit den Lageberichten »letztlich um eine Abschottungspolitik« gegangen. Grund genug für Kieser, die nach Angaben des AA bereits im Sommer 1999 durchgeführte »umfangreiche Reform« der Lageberichte zu überprüfen. Nach Expertengesprächen und Auswertung von zahlreichen Unterlagen konnte Kieser im Ergebnis »trotz der kritischen Äußerungen Vollmers« keinen »erkennbaren Bruch mit der bisherigen Praxis« erkennen. Das AA konterte und behauptete, der Bericht enthalte »eine Vielzahl von falschen Behauptungen«.

Besonders empfindlich reagierte das AA auf Kiesers Feststellung, es hätte noch im November 1998 Abschiebungen in den Kosovo empfohlen. Diese »Behauptung« sei falsch, denn das AA spreche »grundsätzlich keine >Empfehlungen< aus«. Vielmehr enthielten die Lageberichte »lediglich eine objektive Beschreibung der abschieberelevanten Lage vor Ort«. Zudem beruft sich das Amt auf das damalige Flugverbot nach Jugoslawien, das einen »faktischen Abschiebestop« darstelle.

Tatsächlich spricht der Kosovo-Lagebericht vom 18. November 1998 von einer »inländischen Fluchtalternative«. »Nur weil es diese Einschätzung gab, konnten die für die Abschiebung zuständigen Behörden Abschiebungen vornehmen«, so Kieser. Unter Berufung auf den Lagebericht des AA veranlaßte etwa die Bayrische Landesregierung bis 1999 Abschiebungen auf dem Landweg und umging damit das Flugverbot.

Auch im Falle des Irak erweckt das AA den Eindruck, es empfehle keine Abschiebungen. Doch die Aussage des Lageberichts, daß im Nordirak »Flüchtlinge und Einheimische weitgehend Schutz vor dem Zugriff der Bagdader Sicherheitsdienste genießen« ist auch hier Entscheidungsgrundlage der Verwaltungsgerichte bei Abschiebungen. Zur Kritik Kiesers am Lagebericht Türkei verliert das AA kein Wort.

Die Aufforderung des AA an den Sender, solche Berichte künftig zu vermeiden, kann Kieser »nur als Zensurversuch interpretieren«. Seinem Anliegen jedoch, daß sich »der Deutschlandfunk gegen solches Ansinnen in aller Deutlichkeit und öffentlich« verwahren solle, wird die Rundfunkanstalt nicht nachkommen. Obwohl Kieser berichtete, daß sich die Redaktion hinter die Grundaussage seines Beitrags gestellt hatte, erklärt Rolf Clement, Leiter der Redaktion, bei dieser Angelegenheit handele es sich um eine »offizielle Auseinandersetzung zwischen dem Autor und dem AA«. Er habe allerdings »keine Bedenken, Herrn Kieser weiter zu beschäftigen«. DLF-Pressesprecher Dietmar Boettcher hingegen spricht von »schlechten Rechercheergebnissen« und »falschen Inhalten«. Ohne direkten Bezug auf die Sendung Kiesers äußert der die Erwartung, »die Fehler« sollten »durch einen weiteren Beitrag wieder ins richtige Licht« gerückt werden.

Das dürfte ein schwieriges Unterfangen werden, denn auch der jüngste Lagebericht zum Irak, bei dem sich das AA entsprechend seiner vielgepriesenen »Reform« erstmals vor der Erstellung mit Menschenrechtsorganisationen besprochen hatte, ist in die Kritik geraten. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, die an diesem Gespräch beteiligt war, ist enttäuscht. Es gebe »eine ernüchternde Kontinuität der Tradition der Irak-Lageberichte der Ära Kinkel«. Das Irak-Dossier sei »beschönigend« und versäume weitgehend, »Daten und Material über die Situation im kurdischen Nordirak vorzulegen«. Dort seien Kurden »staatlichen Repressionen und gezielten Menschenrechtsverletzungen« ausgesetzt.

Trotz einiger Nachbesserungen enthält nach Ansicht von Pro Asyl auch der jüngste Türkei-Bericht vom Juni diesen Jahres »vollkommen unzutreffende« Behauptungen. Nicht das geltende Recht und die Gesetzgebung seien das Hauptproblem der Türkei, sondern deren Umsetzung in die Praxis, meint das AA. Pro Asyl dagegen hat Fälle aufgelistet, in denen gegen internationale Rechtsstandards verstoßen wurde. In der Türkei sei etwa nach wie vor eine Inhaftierung ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand geltendes Recht.

Menschenrechtsorganisationen bezeichnen dies als »strukturelle Voraussetzung für die Anwendung von Folter in der Polizeihaft«.

Im September versuchte Kieser erneut, einen Interviewtermin im AA zu erhalten. Er bot dem Ministerium an, auf diesem Wege »die Kritik an seinem Beitrag zu erläutern und die Sicht des Amtes deutlich zu machen«, so der Autor. Doch die persönliche Referentin des Staatsministers Volmer wies sein Anliegen zurück.

Gerhard Klas