taz Nr. 6268 vom 12.10.2000, Seite 2

Streitfall NPD

Rot-grüne Bundesregierung: Wesensnähe der NPD zur NSDAP sei "erkennbar".

Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten stark gestiegen

BERLIN taz Die rot-grüne Koalition hat sich gestern bemüht, die Frage eines NPD-Verbots zum Streitfall zwischen Regierung und Opposition zu stilisieren. Demgegenüber wurden die Meinungsverschiedenheiten im eigenen Lager heruntergespielt.

"Wir müssen jetzt die Union in die Zange nehmen", sagte Bundesumweltminister Jürgen Trittin der taz. Zur Begründung verwies Trittin auf die Ankündigung von Fraktionschef Friedrich Merz (CDU), das Thema Einwanderung sowohl im Wahlkampf in Baden-Württemberg 2001 als auch im Bund 2002 aufzugreifen. Trittin warf der Opposition vor, sich damit in Konkurrenz zu rechtsextremen Parteien zu begeben: "Die Union geht mit NPD-Themen hausieren."

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, unterstrich, die Regierungsfraktionen würden den Verbotsantrag im Parlament notfalls auch gegen CDU/CSU und FDP durchsetzen. Die Bundesregierung wünscht sich einen gemeinsamen Antrag, den auch der Bundesrat mittragen soll.

Die Zahl der registrierten rechtsextrem motivierten Straftaten hat sich im August im Vergleich zu den sechs Vormonaten nahezu verdoppelt. Es seien im August rund 1.112 derartige Taten verzeichnet worden, teilte das Innenministerium gestern in Berlin mit. In den Vormonaten seien es noch durchschnittlich 668 gewesen. Bei den 519 Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund lag der Zuwachs bei 7 Prozent. Allerdings seien fast 78 Prozent der Gewalttaten aufgeklärt worden, was im Vergleich zu anderen Kriminalitätsarten eine hohe Aufklärungsquote sei.

Durch die Debatte über den Rechtsextremismus ist nach Ansicht des Ministeriums der Trend verstärkt worden, solche Straftaten anzuzeigen. Außerdem regten Aufsehen erregende Straftaten Nachahmungstäter an. Dieser Zusammenhang dürfe aber nicht als Vorwand dienen, die öffentliche Auseinandersetzung um rechte Gewalt einzuschränken, betonte ein Sprecher.

Nach Kritik an einem NPD-Verbot auch aus dem eigenen Lager, stellte sich gestern das Kabinett demonstrativ hinter den geplanten Antrag von Innenminister Otto Schily (SPD) beim Bundesverfassungsgericht. Die Bundesregierung sei überzeugt, dass bei der NPD "eine Wesensnähe" zur NSDAP "erkennbar" sei, sagte Regierungssprecher Heye. Auch er kritisierte die Wahlkampfpläne der Union, äußerte aber die Hoffnung, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel auf einer Großveranstaltung gegen Rechtsextremismus am 9. November Merz' Aussage "klarstellen" werde.

Die Erkenntnisse der Verfassungsschützer, die Schily und drei seiner Kollegen aus den Bundesländern zur Forderung eines Verbots bewegt haben, sollen jetzt auch dem Innenausschuss des Bundestages vorgelegt werden. Am 20. Oktober werden sich dann in Berlin alle Innenminister aus Bund und Ländern mit einem Verbotsantrag befassen.

In einer repräsentativen Forsa-Umfrage für die Zeitung Die Woche erklärten 78 Prozent der Befragten, es werde nicht genug zur Bekämpfung des Rechtsextremismus getan. 57 Prozent bezeichneten die Reaktionen der Politiker als "zu lasch und zu lau".Über die Hälfte der Befragten (53 Prozent) sprach sich dafür aus, alle rechtsradikalen Parteien und Gruppen in Deutschland zu verbieten. Knapp die Hälfte (49 Prozent) glaubt, dass die Juden in Deutschland "um ihre Sicherheit fürchten" müssen.

PATRIK SCHWARZ