Frankfurter Rundschau, 12.10.2000

Neonazis schlugen häufiger zu

Deliktzahl im August fast verdoppelt / Berlin sieht Nachahmer

Deutschland hat einen drastischen Anstieg rechtsextremistischer Straftaten zu verzeichnen. Die Ursache dafür sei unklar, hieß es am Donnerstag im Bundesinnenministerium. Allerdings sei von etlichen Nachahmungstätern auszugehen. Auch habe sich das Anzeige- und Meldeverhalten in der Bevölkerung verändert.

BERLIN, 11. Oktober (dpa/ap/rtr). Während in den Monaten Januar bis Juli im Durchschnitt 668 rechtsextremistisch motivierte Straftaten erfasst wurden, seien im August 1112 solcher Delikte verzeichnet worden, teilte das Bundesinnenministerium am Mittwoch in Berlin mit. Insgesamt wurden damit laut Statistik im laufenden Jahr 5789 rechtsextremistische Straftaten registriert.

"Die Ursachen für den deutlichen Anstieg dieser Delikte sind noch nicht klar einzuschätzen", hieß es im Ministerium. Es gebe allerdings die traurige Erfahrung, dass Straftaten in diesem Bereich neue Taten nach sich zögen. Potenzielle Straftäter würden sich durch bestimmte Ereignisse zur Nachahmung veranlasst sehen. Dies habe etwa nach den ausländerfeindlichen Krawallen in Rostock 1992, nach dem Brandanschlag in Solingen im Mai 1993 wie auch in anderen Fällen zu einem vorübergehenden deutlichen Anstieg der Straftaten geführt. Das Ministerium betonte aber, die intensive öffentliche Debatte sei dennoch zu begrüßen. "Sie hat zu einer gestiegenen Sensibilisierung weiter Bevölkerungskreise geführt, die für das gesellschaftliche Klima insgesamt, für die offensive Bekämpfung rechtsextremistischen Gedankenguts wie auch für die weitere Arbeit der Strafverfolgungsbehörden von hohem Wert ist." Dies finde seinen Ausdruck auch in einem geänderten Anzeige- und Meldeverhalten der Bürger.

Fremdenfeindliche Straftaten gab es laut Ministerium im August 403, als antisemitische Delikte wurden 121 eingestuft. Im Durchschnitt der Monate Januar bis Juli waren dies 210 fremdenfeindliche und 68 antisemitische Straftaten. Bezogen auf das Vorjahr ergebe sich damit für Januar bis August ein Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Straftaten um etwa 19 Prozent. Fremdenfeindliche Delikte stiegen um etwa 14 Prozent, antisemitische Straftaten nahmen um sechs Prozent zu.

Rot-Grün will nach SPD-Angaben einen Verbotsantrag des Bundestags gegen die rechtsextreme NPD auch ohne die CDU/CSU beschließen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, sagte, es deute alles darauf hin, dass SPD und Grüne das Material als ausreichend für einen Verbotsantrag bewerten würden. Dann werde der Bundestag einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht notfalls ohne Zustimmung der Union beschließen.