Süddeutsche Zeitung, 11.10.2000

Erster Erfolg der diplomatischen Bemühungen

Israel gibt internationalem Druck nach

Barak doch zu Gipfeltreffen mit Arafat bereit / Ultimatum an Palästinenser zur Einstellung der Kämpfe verlängert / Von Thorsten Schmitz

Jerusalem - Israels Premierminister Ehud Barak hat am Dienstag nach einer Sondersitzung seines Kabinetts das Ultimatum an die Palästinenser zur Einstellung der Gewalt "um einige Tage" verlängert. Palästinenserpräsident Jassir Arafat wies nach palästinensischen Angaben seine Sicherheitskräfte an, in Gaza und der Westbank für Ruhe zu sorgen. Nach Gesprächen mit Arafat und Barak zeigte sich UN-Generalsekretär Kofi Annan optimistisch, dass die Unruhen gestoppt werden könnten. Bei Zusammenstößen zwischen arabischen und jüdischen Israelis wurden zwei Araber getötet und mindestens 200 verletzt.

Angesichts massiver diplomatischer Bemühungen um eine Beilegung der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern beschloss das israelische Kabinett nach einer fünfstündigen Sondersitzung die Verlängerung des Ultimatums. Barak hatte Arafat ursprünglich bis Montagabend Zeit gegeben, die Unruhen in den Palästinensergebieten zu stoppen. Er hatte mit einem Ende des Friedensprozesses und "geeigneten militärischen Maßnahmen" gedroht. Der israelische Regierungssprecher Nachman Schai erklärte zu der Verlängerung des Ultimatums, Israel wolle damit die internationalen Vermittlungsbemühungen unterstützen. Dies sei allerdings Arafats "letzte Chance". Die Regierung verlängerte auch die Abriegelung der Palästinensergebiete auf "unbestimmte Zeit".

Auch einem zunächst von Barak abgelehnten Gipfeltreffen in dieser Woche mit Arafat in Ägypten unter der Schirmherrschaft von US-Präsident Bill Clinton zeigte sich der israelische Regierungschef am Dienstag nicht mehr abgeneigt. Barak sagte, er werde an einem Treffen teilnehmen, sollten Aussichten auf ein vollständiges Ende der Gewalt bestehen. Ägypten erklärte jedoch inzwischen, es lehne eine solche Konferenz ab, solange Israel sein Ultimatum aufrechterhalte.

UN entsenden Berichterstatter

Barak sagte zudem, er werde einer von den USA geleiteten Untersuchungskommission zu den Ursachen der Unruhen zustimmen. Dazu soll der UN-Sonderberichterstatter Giorgio Giacomelli am heutigen Mittwoch in das Krisengebiet aufbrechen. Während seines fünftägigen Aufenthalts soll er mögliche Menschenrechtsverletzungen untersuchen. Die UN-Menschenrechtskommission in Genf plant nach einem Antrag der arabischen Liga offenbar nächste Woche eine Sondersitzung zur Nahost-Krise.

Die Kämpfe in den besetzten Gebieten waren in der Nacht zu Dienstag zunächst abgeflaut. Lediglich in der Westbank-Stadt Hebron wurden heftige Auseinandersetzungen mit zahlreichen Verletzten gemeldet. In Süd-Gaza wurde ein palästinensischer Junge durch einen Kopfschuss israelischer Soldaten lebensgefährlich verletzt. Der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen lag am zwölften Tag der Kämpfe in israelischen Städten zwischen arabischen Israelis und jüdischen Israelis. In der arabischen Stadt Nazareth wurden zwei Araber von Polizisten erschossen und Dutzende verletzt. Auch in Tel Aviv wurden erneut Kämpfe aus den arabischen Stadtteilen Jaffa und Bat Yam gemeldet. Im Tel Aviver Außenbezirk Hatikva schrien jüdische Israelis "Tod den Arabern", verwüsteten ein arabisches Restaurant und setzten drei Wohnungen von Arabern in Brand. Staatspräsident Mosche Katzav warnte vor einem Bürgerkrieg und rief zu Ruhe auf.

Annan erklärte nach Gesprächen mit Arafat, Barak und Israels Außenminister Schlomo Ben-Ami, die Gewalt könne eingedämmt werden, und die beiden Parteien könnten an den Verhandlungstisch zurückkehren. Wie die Friedensgespräche wieder aufgenommen werden können, ließ der UN-Generalsekretär allerdings zunächst offen. Russlands Außenminister Igor Iwanow war ebenfalls mit Arafat und Ben-Ami zusammengetroffen. Bei dem Gespräch mit seinem israelischen Kollegen soll es auch um die Entführung dreier israelischer Soldaten im Südlibanon am Wochenende gegangen sein. Iwanow war zuvor im Libanon und in Syrien gewesen.

Der israelische Rundfunk meldete, dass die drei von pro-iranischen Hisbollah-Milizen gefangen genommenen Soldaten "womöglich" nicht mehr am Leben seien. Blutspuren an der Entführungsstelle wiesen auf Verletzungen der Soldaten hin. Bei den blutigen Unruhen in Israel und den Palästinensergebieten sind bislang mindestens 94 Menschen getötet und weit mehr als 2000 verletzt worden.