junge Welt, 11.10.2000 Kommentar

Aufstand in Permanenz

Israel verlängerte sein Ultimatum

Der israelische Premier Barak verlangt von Palästinenserführer Arafat, der Gewalt in den Autonomiegebieten ein Ende zu bereiten. Das ist eine dreiste Verkehrung der Tatsachen. Denn die Opfer »exzessiver Gewaltanwendung«, wie es in der UNO-Entschließung heißt, sind fast ausschließlich Palästinenser, die Gewalttäter somit Israelis. Wenn nur mit Steinen bewaffnete Jugendliche den Tod nicht mehr fürchten, dann müssen sie sich schon sehr gepeinigt und unterdrückt fühlen. Gewalt zu erleiden, ist ihr tägliches Schicksal.

Ehud Barak hatte in seinen jüngsten Äußerungen auch noch andere Frechheiten parat. So sprach er der palästinensischen Führung schlicht die Reife für Friedensverhandlungen ab. Daraus spricht der Dünkel eines Kolonialherren, der Stammeshäuptlingen eine, wenn überhaupt, nur beschränkte Fähigkeit einräumt, einen zivilisierten Dialog zu führen. Auch das Stellen eines - inzwischen verlängerten - Ultimatums an die Autonomiebehörden, den Aufstand abzublasen, macht das Herr-Knecht-Verhältnis zwischen den beiden Seiten deutlich. Unter solchen Voraussetzungen kann der von Arafat und den Seinen angestrebte palästinensische Staat nur die Karikatur eines Staates sein. Nicht zwei Staaten soll es auf dem Boden des historischen Palästinas geben, sondern bloß eineinhalb. Was Israel den Palästinensern zumutet, ist völkerrechtswidrig. Man werde nicht zulassen, daß auch nur ein weiterer Israeli getötet werde, sagte der Armeekommandeur von Ramallah. Dies angesichts der hohen arabischen Opferzahl zu behaupten, zeugt von Menschenverachtung. Daß das Leben der einen um ein vielfaches mehr wert sei als das der anderen - das kann doch nicht der Schwur der Überlebenden von Auschwitz gewesen sein.

Das Friedenskonstrukt von Oslo ist unhaltbar geworden, denn Arafat kann es nur mehr um den Preis seines Sturzes mittragen. Es ist nicht an der Jerusalem-Frage gescheitert, sondern an der kaltschnäuzigen Mißachtung der sozialen Bedürfnisse von Menschen, denen ein ewiges Flüchtlingsschicksal zugedacht war. An ihrem Status würde sich auch in einem Staat nichts ändern, dessen Staatlichkeit auf formale Attribute beschränkt ist, wie Nationalflagge und Nationalhymne, sofern das von den Siedlern nicht als Lärmbelästigung empfunden wird.

In den besetzten Gebieten hat der Aufstand begonnen. Und er wird in immer neuen Wellen weitergehen. Bis Israel die Palästinenser als gleichberechtigte Nation anerkannt hat.

Werner Pirker