junge Welt, 11.10.2000

Kommentar

Ende der Irak-Sanktionen unerwünscht

In einem Interview mit dem Hamburger Magazin Der Spiegel behauptet Khidhir Hamza, ehemaliger Leiter des irakischen Atomwaffenprogramms, Saddam Hussein betreibe mehr denn je den Bau von Atombomben. Mit seinen Äußerungen versucht der mittlerweile in den USA lebende Wissenschaftler ganz offensichtlich mit Blick auf die Politik einiger europäischer Länder, auf vermeintliche oder tatsächliche Gefahren hinzuweisen, die ein Ende der Sanktionen gegenüber dem Irak hätten.

Während die US-Regierung weiterhin sowohl Libyen als auch den Irak und den Iran als Länder betrachtet, an deren Spitze Regierungen stehen, mit denen es keine Verhandlungen und keine Zusammenarbeit geben dürfe, haben sich in Berlin, vor allem aber in Paris, in letzter Zeit andere Erkenntnisse durchgesetzt. Frankreich setzt schon seit längerem auf eine eigenständige Politik, die, in Abgrenzung zur britischen Regierung und deren Schulterschluß mit den USA, an die ehemals guten Beziehungen mit dem Irak anknüpfen will. Daß der langjährige Chef des irakischen Atomprogramms gerade jetzt mit solchen für westliche Politiker aufschreckenden, wenig glaubwürdigen Prognosen, Saddam Hussein sei seinem Ziel, Herr über Atombomben zu werden, »so nah wie nie«, an die Öffentlichkeit geht, ist sicher kein Zufall. Die Politik der europäischen NATO-Staaten, hier vor allem die Frankreichs, gegenüber den von den USA einmal zu »Schurkenstaaten« erklärten Ländern Libyen, Irak und Iran sorgt in Washington für Unruhe.

Die Rolle, die Tripolis bei der Geiselnahme durch Abu- Sayyaf-Rebellen auf den Philippinen einnahm, und das Lob aus Paris und Berlin sowie die Ankündigung, ihre Libyen-Politik zu überprüfen, führten zwischen der US-Administration und europäischen Regierungen zu Spannungen. Eine besonders von Paris angemahnte Kurskorrektur gegenüber diesen Ländern hatte in Washington nur eine schroffe Ablehnung zur Folge. US-Außenministerin Albright äußerte sich dazu vor einigen Tagen wenig diplomatisch: Die Neupositionierungen in Paris und Berlin seien ein großer Fehler. Dafür, daß die ehemalige deutsche Jolo-Geisel Werner Wallert mit deutlichen Worten an die Öffentlichkeit trat - »Wir verdanken unsere Freiheit der libyschen Führung und der libyschen Ghaddafi- Stiftung« - und bei den Danksagungen Richtung Tripolis ausdrücklich von Außenminister Fischer unterstützt würde, habe sie kein Verständnis.

Da aber bei europäischen Verbündeten der USA zumindest in Teilen der kritischen Öffentlichkeit die für die irakische Zivilbevölkerung verheerenden Sanktionen angeprangert werden und mittlerweile auch offizielle Stellen zugeben müssen, daß Hunderttausende Iraker Opfer dieser Politik wurden, scheint es nun das Bestreben in Washington zu geben, hier Druck auf die NATO-Verbündeten auszuüben. Vorläufig geht es für die US-Regierung offenkundig darum, die europäischen Regierungen davon abzuhalten, die Linie, »die Sanktionen gegen den Irak müssen weiter bestehenbleiben«, zu verlassen.

Daß deutsche Firmen tatsächlich maßgeblich bei den Aufrüstungsprogrammen in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens beteiligt waren und immer noch sind, ist unstrittig - aber das Ganze ist natürlich ein Wink mit dem Zaunpfahl aus den USA: Denn um welche Firmen es sich dabei im einzelnen handelt und mit welcher Rückendeckung Geschäfte getätigt wurden, ist normalerweise nicht Gegenstand öffentlicher Erörterungen unter engen Verbündeten. Klar ist: Khidhir Hamza wäre für manche Überraschung gut, doch soweit sollte es besser nicht kommen. Das ist die Botschaft zwischen den Zeilen an die Adresse der Regierung in Berlin.

Thomas Klein