junge Welt, 10.10.2000 Interview

Warum werden Waffen in die Türkei verkauft?

junge Welt sprach mit Ramon Mantovani

* Ramon Mantovani ist Abgeordneter im italienischen Parlament und Mitglied im Sekretariat der Rifondazione comunista

F: Sie üben als Mitglied des italienischen Parlamentes scharfe Kritik an den europäischen Rüstungsexporten. Sowohl Deutschland als auch Italien gehören zu den führenden Waffenexporteuren in die Türkei.

Und natürlich die USA. Das Problem sind aber nicht so sehr die Anzahl der Waffen, die geliefert werden. Wenn nicht Deutschland, Frankreich oder Italien die Waffen an die Türkei verkaufen, ist es ja leider so, daß die USA sie verkaufen. Im Fall der Türkei ist es ein prinzipielles Problem. Den Waffenhandel zu stoppen würde bedeuten, den Konflikt zwischen dem türkischen Staat und dem kurdischen Staat anzuerkennen. So würde Druck auf die Türkei ausgeübt, mit politischen Verhandlungen zu beginnen.

F: Ist es denn überhaupt möglich, die Waffengeschäfte zu beenden, solange die NATO Handelsverträge mit der Türkei abschließt?

Ja, das stimmt, die NATO ist ein anderes großes Problem. Aber jede Regierung in Europa hat eigene Gesetze, die von der Mitgliedschaft in der NATO unabhängig sind. Europa muß sich zwischen sich selbst und der NATO entscheiden.

F: Widerspricht der Umgang der türkischen Regierung mit den Kurden nicht auch den europäischen Grundsätzen von Demokratie?

Europa ist schizophren. Österreich wird bestraft, weil die Partei von Haider in der Regierungskoalition ist. Gleichzeitig aber lädt Europa die Türkei ein, Mitglied in der EU zu werden. Aber in der Türkei gibt es einen bewaffneten Konflikt, die Grauen Wölfe sind an der Regierung beteiligt, und alle oppositionellen Kräfte werden politisch verfolgt. Diese beiden Vorgehensweisen sind doch in einer Politik nicht vereinbar. Und das kurdische Volk bezahlt für diesen Widerspruch. Sie haben sich mit Herrn Öcalan einige Male getroffen? Sie haben ihn im Oktober 1998 von Moskau nach Rom begleitet. Nein, überhaupt nicht. Ich traf Öcalan einige Mal im Mittleren Osten und weder er noch ich dachten damals, daß er jemals nach Italien kommen würde. Aber schon zu dieser Zeit hatte er die klare Vorstellung, daß eine Lösung nur durch eine europäische Initiative politisch möglich sei. Später kam die Krise zwischen der Türkei und Syrien, Öcalan verließ Damaskus, ging nach Moskau. Er bat uns um Hilfe, nach Italien kommen zu können. Er wollte diese schwierige Situation in eine politische Initiative wenden, die einen Friedensprozeß fördern sollte. Dabei haben wir ihn unterstützt.

F: Warum gab es von den europäischen Staaten so wenig Unterstützung?

Ich denke, auch dort übte die USA Druck aus. Die italienische Regierung blieb mit ihrer Politik allein. Andere europäische Regierungen hätten sie unterstützen müssen. Das wäre eine ganz normale Sache gewesen. Man fördert eine politische Lösung, um einen Krieg zu beenden. Wie es derzeit aussieht, wird der Krieg solange nicht zu Ende sein, wie den Kurden ihre Rechte vorenthalten werden.

F: Die Situation heute scheint festgefahren. Welche Perspektive hat die kurdische Bewegung?

Ich sehe eine gewisse Kontinuität in der Politik von Öcalan. Als ich ihn mit Mittleren Osten traf, als ich ihn in Rom traf, oder jetzt, aus dem Gefängnis heraus. Er hat immer die gleiche Politik vertreten: Wir fordern die Anerkennung unserer politischen, sozialen und kulturellen Rechte. Wir wollen keine Loslösung von der Türkei, dafür bieten wir einen Waffenstillstand an, damit Verhandlungen aufgenommen werden können. Die einzige Bedingung ist, als politischer Ansprechpartner anerkannt zu werden. Diese Politik wird früher oder später gewinnen. Wie früh, wie spät hängt sehr von der europäischen Politik ab oder von der Politik irgendeines europäischen Staates.

Interview: Karin Leukefeld