Financial Times Deutschland, 09.10.2000

Barak droht Palästinensern mit Krieg

Das Ultimatum Israels an die Palästinenser und die Entführung von drei israelischen Soldaten durch die Hisbollah-Guerillas haben die Furcht vor einem bewaffneten Konflikt im Nahen Osten genährt. Am Montag soll sich der russische Außenminister Igor Iwanow in die Vermittlungsbemühungen einschalten.

Israels Premier Ehud Barak hat am Sonntag seine Warnung bekräftigt, dass er es als das endgültige Ende aller Friedensbemühungen betrachten werde, wenn der Aufstand der Palästinenser nicht rasch beendet wird. Die ursprünglich nur bis Montag geplante Abriegelung der palästinensischen Autonomiegebiete bleibe solange in Kraft, bis im Westjordanland und im Gazastreifen wieder Ruhe herrsche. Der isrelische Premier forderte den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak auf, auf Palästinenserpräsident Jassir Arafat einzuwirken. Zugleich warnte Barak, mit dem Ende der Verhandlungen trete für Israel der Verteidigungsfall ein. Israel werde dann die nötigen Schritte unternehmen, um seine Bürger und Soldaten zu schützen. Bislang starben bei den Unruhen seit Donnerstag vergangener Woche 83 Menschen, mehr als beim Aufstand 1996.

Russischer Außenminister Iwanow reist nach Israel

Nach einem Besuch des russischen Außenministers am Montag in Syrien, will sich Igor Iwanow offenbar direkt in die Vermittlungsbemühungen einschalten, meldete die Nachrichtenagentur Ria Nowosti unter Berufung auf Vertreter der russischen Botschaft in Tel Aviv. Das russische Außenministerium bestätigte die Nachricht bislang nicht.

US-Außenministerin fordert Arafat zum Eingreifen auf

Auch US-Außenministerin Madeleine Albright hat Arafat zum Eingreifen aufgefordert. "Ich denke, Jassir Arafat ist offensichtlich der Führer des palästinensischen Volkes", sagte Albright im US-Fernsehen. Er habe derartige Situationen in der Vergangenheit unter Kontrolle gebracht, und die USA erwarteten auch jetzt, "dass er dazu in der Lage ist", auch wenn die Situation nicht einfach sei. Kritik übte Albright an der Resolution der Vereinten Nationen, in der Israel vorgeworfen wurde, "exzessive Gewalt" gegen die palästinensischen Steinewerfer auszuüben. Teile der Resolution seien aus amerikanische Sicht "falsch und unakzeptabel". Die USA hatten sich bei der Abstimmung im Sicherheitsrat enthalten.

Gefechte gehen weiter

Ungeachtet eines von der palästinensischen Autonomiebehörde verhängten Ausnahmezustandes ist es am Sonntag wieder zu Zusammenstößen militanter Palästinenser mit der israelischen Armeee gekommen. Ein Palästinser und ein Israeli starben, im Gaza-Streifen wurde ein mit Isralis besetzter Bus beschossen. Ein Armeesprecher teilte mit, Barak habe die sofortige Schließung des internationalen palästinensischen Flughafens in Gaza angeordnet, da der Bus von dort beschossen worden sei. Lediglich die Maschine von Palästinenser-Präsident Jassir Arafat könne noch starten, weil Barak allen israelischen Flughafenmitarbeitern am Sonntag verboten habe, zur Arbeit zu gehen. Die Armee kündigte daraufhin an, offensiv vorzugehen und setzte Kampfhubschrauber gegen Heckenschützen ein. Im Gaza-Streifen sprengten sie mehrere Gebäude. Indes tauchten in Ramallah und anderswo Flugblätter der Palästinenser-Partei Arafats, El Fatah, mit dem Aufruf zu einer neuen "Intifada" und zum täglichem Generalstreik auf. Fatah- Vertreter erklärten, es handele sich um eine Entscheidung der Basisorganisationen. Die Palästinenser-Regierung sei nicht konsultiert worden.

Israelischer Generalmajor warnt vor weiterer Gewalt

Der israelische Generalmajor Uzi Dayan warnte die Palästinenser am Sonntag vor weiterer Gewalt. Auch Angriffe auf das palästinensische Hauptquartier seien denkbar, sagte er im israelischen Rundfunk. Die Armee werde zunehmend offensiv vorgehen. "Ich würde noch nicht von einem regelrechten Krieg sprechen, aber wenn die Palästinenser die Konfrontation wählen, wird es eine Konfrontation geben", sagte er. Verteidigungsminister Ephraim Sneh sagte, auch wenn die Armee nun schärfer vorgehe als zuvor nutze sie bislang nur ein Prozent ihrer Möglichkeiten. Aus Kreisen der Hisbollah verlautete, es hätten Geheimgespräche über den Austausch der drei zuvor entführten Soldaten begonnen. Die Hisbollah verlangt den Informationen zufolge von Israel die Freilassung in Israel inhaftierter Libanesen sowie von inhaftierten Kämpfern der radikalen Organisationen Hamas und Islamischer Dschihad.

US-Präsident Clinton will vermitteln

US-Präsident Bill Clinton hat versucht, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Er telefonierte nach Angaben einer Sprecherin mehrfach mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak, Palästinenserpräsident Jassir Arafat und dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Über den Inhalt der Gespräche wurde zunächst nichts bekannt. Es hieß lediglich, Clinton bemühe sich intensiv, Palästinenser und Israelis zu einer Beendigung der Gewalt und zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch zu bewegen. Zugleich schaltete sich Clinton nach Angaben aus dem Weißen Haus auch in die heftige Debatte um die UN-Resolution zur Gewalt im Nahen Osten ein. Die USA hatten schließlich auf ein Veto verzichtet und sich lediglich der Stimme enthalten. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte daraufhin die "exzessive Gewaltanwendung" gegen Palästinenser bei den blutigen Zusammenstößen seit dem 28. September.

Libanon versetzt Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft

An der israelisch-libanesischen Grenze ereigneten sich am Samstag die heftigsten Gefechte zwischen Armee und radikal-islamischer Hisbollah, seit sich Israel im Mai aus dem Südlibanon zurückgezogen hatte. Israelische Kampfflugzeuge überflogen am Sonntag Beirut. Einwohner der Hauptstadt gerieten darauf in Panik, weil ein Überschallflugzeug nicht von der Explosion einer Bombe zu unterscheiden ist. Die Regierung des Libanon befürchtet inzwischen nach Angaben aus Militärkreisen eine israelische Offensive und hat die Streitkräfte am Sonntag in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Bundesregierung nicht an Vermittlung beteiligt

Grund für die Vorkehrung ist die Gefangennahme dreier israelischer Grenzsoldaten. Die radikal-islamische Organisation Hisbollah haben dies nach Ausschreitungen an der Grenze verschleppt. Die Hisbollah teilte mit, mit den Angriffen und der Gefangennahme solle die Freilassung gefangener Kämpfer erreicht werden. 19 Libanesen befinden sich in israelischer Haft. In der Hisbollah nahe stehenden Kreisen hieß es, die Gruppe habe deutsche Unterhändler eingeschaltet, um einen Austausch der Soldaten gegen 19 Libanesen und eine Reihe von islamischen Kämpfern der palästinensischen Hamas und Dschihad zu erreichen. Auch andere Parteien einschließlich UNO-Generalsekretär Kofi Annan hätten ihre Hilfe angeboten. Auch das Internationale Rote Kreuz sei eingeschaltet. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, die Bundesregierung sei an keiner Vermittlung beteiligt. Nach Angaben des spanischen Außenministers Josep Pique baten die USA Spanien unterdessen, bei der Freilassung der verschleppten Israeli zu vermitteln.

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