taz 09.10.2000

Keine Rede mehr von Frieden

Die Auseinandersetzungen in Palästina halten an. Barak setzt Arafat ein Ultimatum bis heute Abend. Der Friedensprozess scheint gescheitert

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

"Wir befinden uns an der Schwelle zu einer neuen Realität im Staate Israel. Es sieht so aus, als hätten wir keinen Partner für den Frieden." Mit diesen Worten begründete Premier Ehud Barak im Fernsehen ein Ultimatum an Palästinenserpräsident Arafat, bis Montagabend die gewaltsamen Ausschreitungen in den Autonomiegebieten zu beenden. Danach werde die israelische Armee "alle Mittel einsetzen", um die Gewalt zu beenden. Zugleich beriet Barak mit dem rechtsgerichteten Oppositionsführer Ariel Scharon über die Bildung einer "nationalen Notstandsregierung".

Doch die Unruhen dauerten gestern weiter an. Sie forderten bisher insgesamt über 90 Tote. Am Samstag hatten Palästinenser das Josefsgrab, eine Pilgerstätte in Nablus, zerstört, am Sonntag sprengte die isrealische Armee mehrere Gebäude im Gazastreifen in der Nähe der jüdischen Netzaim-Siedlung. Die islamisch-fundamantalistische Hamas rief sogar zu einer Steigerung der Gewalt auf. In israelischen Gefängnissen fanden unterdessen Freudenfeiern über die Entführung dreier israelischer Soldaten am Vortag statt. Die libanesische Hisbullah (Partei Gottes) hatte die Soldaten entführt und will sie gegen libanesische und palästinensische Gefangene austauschen.

Auch auf israelischer Seite bekommen die radikalen Kräfte angesichts des "Krieges an drei Fronten", wie es hieß, Aufwind. Mit Plakaten, wie "Frieden - bis zum letzten Juden", demonstrierte eine Gruppe von jüdischen Siedlern wenige Stunden nach der Entführung der drei Soldaten. Angesichts der angespannten Situation hält am heutigen höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur (Versöhnungstag) der staatliche Rundfunk einen Fernsehkanal offen, den fromme Juden angeschaltet lassen können, um im Ernstfall nicht ihren Apparat betätigen zu müssen. Diese Maßnahmen wurden zum letzten Mal während des Golfkrieges getroffen.

"Syrien trägt die größte Verantwortung, dass die Geiseln gesund wieder nach Hause kommen", erklärte Barak. Syrien sei auch verantwortlich dafür, dass "vom Libanon aus keine feindlichen Aktionen mehr gegen Israel unternommen werden". Seit Israels einseitigem Truppenabzug aus der so genannten südlibanesischen Sicherheitszone hatte es keine Gewalt zwischen den Guerillas der Hisbullah und israelischen Soldaten gegeben. Die derzeitigen Grenzanlagen bieten indes weder für die Militärs noch für die Bevölkerung im Norden Israel Sicherheit.

Über deutsche und internationale Vermittlung fanden gestern die Versuche statt, zu einer diplomatischen Lösung in der Geiselaffäre zu kommen. In Israel sitzen seit mehreren Jahren die beiden Hisbullah-Führer Mustafa Dirani und Scheich Abd-el Karim Obeid ein. Beide waren als Tauschobjekte für den seit über zehn Jahren vermissten israelischen Navigator Ron Arad entführt worden. Sollten die Bemühungen scheitern, wird die israelische Armee nicht tatenlos bleiben. Mit den von Barak angedeuteten "massiven Gegenmaßnahmen" sind zweifellos erneute Luftangriffe auf zivile, libanesische Ziele gemeint. Möglich ist auch die Bombardierung syrischer Einrichtungen im Libanon. Aus Damaskus war unterdessen eine Verurteilung der Gewalt laut geworden. Syriens Außenminister Faruk a-Shara hatte erklärt, es sei nicht im Interesse Syriens, dass "die Gewalt im Libanon und in den Palästinensergebieten andauert".

Unterdessen machte Barak erneut die Palästinenser für die andauernden Unruhen verantwortlich. "Arafat arbeitet zielgerichtet daran, den Verhandlungen ein Ende zu bereiten", erklärte er. Bis zum Ende des Jom Kippur heute Abend herrscht eine beschränkte Einreisesperre. 20.000 Palästinenser fuhren auch gestern zur Arbeit nach Israel.

Obschon Barak auch sagte: "Der Frieden wird schließlich doch kommen", finden angesichts der schwierigen Lage in Israel bereits Verhandlungen zur Errichtung einer Nationalen Einheitsregierung statt. Diese Notstandsregierung würde vermutlich nur für begrenzte Zeit errichtet, um nach einer Beruhigung der Situation, Neuwahlen abzuhalten.