junge Welt, 09.10.2000

Mit Wasser geworfen

8000 Menschen demonstrierten in Berlin-Köpenick gegen Rechts. Polizei hielt mit Knüppeln und Wasserwerfern dagegen

In Berlin-Köpenick demonstrierten am Sonnabend etwa 8000 Menschen gegen Neofaschismus und deutsche Abschiebepraxis. Ein Bündnis aus mehr als 200 Einzelpersonen und Organisationen hatte seit Monaten zu breitem Protest gegen Rechts gerufen. Verdeutlicht wurde von den Organisatoren schon im Vorfeld, daß sich der Kampf nicht nur gegen Neofaschisten wendet, sondern daß er die kapitalistische Gesellschaftsordnung grundlegend in Frage stellen muß. Morde an Flüchtlingen, Obdachlosen und Linken, Anschläge auf Flüchtlingswohnheime, jüdische Friedhöfe und Synagogen sind nur ein Teilbereich des alltäglichen Rassismus, so der Grundtenor des Demoaufrufes. Eine Sprecherin des Bündnisses sagte über das Zusammenspiel von alltäglichem und staatlichem Rassismus gegenüber junge Welt: »Einen Flüchtling in Folter und Tod zu schicken, ist nicht weniger rassistisch als eine Migrantin oder einen Migranten auf der Straße kaltblütig zu ermorden«. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, führte die Demonstration unter dem Motto »Gemeinsam gegen Rechts« vom S-Bahnhof Spindlersfeld zum Abschiebeknast in Grünau und weiter zur Köpenicker Innenstadt vor die NPD-Zentrale in der Seelenbinder Straße. Gewerkschafter demonstrierten gemeinsam mit Kommunisten, autonomen Antifaschisten, PDS-Mitgliedern, Anarchisten, Punks und Köpenicker Bürgern.

Innensenator Eckart Werthebach hatte bereits am Tag vor der Demonstration vor »gewaltbereiten Linksextremisten« gewarnt und so die Stimmung angeheizt. Am Abschiebeknast in Grünau kam es dann auch zu ersten Auseinandersetzungen. Die Demonstranten forderten die Freilassung der Gefangenen und brachten in verschiedenen Sprachen ihre Solidarität mit den Flüchtlingen zum Ausdruck. Zeitgleich präsentierte die Staatsgewalt Wasserwerfer, Räumpanzer und ihr berüchtigtes Greifkommando 23. Als eine Handvoll autonomer Antifaschisten mit einem Absperrgitter auf den Abschiebeknast zustürmte, eskalierte die Situation. Die Autonomen zertrümmerten die Scheiben des Pförtnerhäuschens. Der hohe Gitterzaun des Abschiebegefängnisses gab ihrem Druck jedoch nicht nach. Die Polizei reagierte mit einem Schlagstock- und Wasserwerfereinsatz gegen den ersten Block des Demonstrationszuges.

Dennoch konnte die Demonstration in Richtung Köpenicker Innenstadt fortgesetzt werden. Von nun an begleitet durch ein starkes Polizeiaufgebot. Vor der Seelenbinder Straße 42, dem Sitz der NPD-Bundeszentrale, gab es eine weitere Kundgebung. Am Rande kam es zu weiteren Rangeleien mit Polizeibeamten.

Der Vorsitzende des Bundes der Antifaschisten (BdA) und Anmelder des Protestzuges Hans Coppi kündigte in Anbetracht des Erfolges der Demonstration an, beim nächsten Mal noch kraftvoller aufzutreten. Eine Polizeisprecherin zog am Sonntag gegenüber jW folgende Bilanz: 40 Strafanzeigen, siebenmal der Vorwurf schweren Landfriedensbruches und 21 verletzte Polizeibeamte. Die sehr viel höher liegende Zahl verletzter Antifaschisten ist bisher nicht ermittelt. Die über 40 Festgenommenen waren nach Auskunft der »Antifaschistischen Aktion Berlin« mit einer Ausnahme bis zum Sonntag mittag wieder frei.

Arian Wendel, Andreas Siegmund-Schultze