web.de, 08.10.2000; 12:25

Israel droht mit militärischen Angriffen

Truppen sprengen Wohnhäuser im Gazastreifen - Sicherheitsrat verurteilt Vorgehen Israels - Barak stellt Arafat Ultimatum

Jerusalem (AP) Israel hat den Palästinensern am Sonntag mit einem härteren Eingreifen seiner Streitkräfte gedroht, falls die Gewalt in den palästinensischen Autonomiegebieten eskaliert. Der Sicherheitsberater des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak, Generaloberst Usi Dajan, erklärte, es könnten auch die Hauptquartiere der Verantwortlichen für die Gewalt angegriffen werden. Barak hoffe allerdings, dass der palästinensische Präsident Jassir Arafat seinem Ultimatum nachkomme und bis Montagabend für eine Beruhigung der Lage sorgen werde. Im Westjordanland und im Gazastreifen kam es am Sonntag wieder zu mehreren Auseinandersetzungen zwischen israelischen Soldaten und Palästinensern. Dajan sagte dem israelischen Radio, die Streitkräfte würden bei einer Eskalation der Gewalt nicht länger nur reagieren, sondern gezielt eingreifen. Barak hatte Arafat am Samstag 48 Stunden Zeit gegeben, die Angriffe von Palästinensern einzustellen. Israel gehe sonst davon aus, dass Arafat die Friedensverhandlungen beenden wolle. Arafats Berater Nabil Aburdeneh bezeichnete das Ultimatum als eine Erpressung, die die Region in Kriege führen werde. Israelische Truppen sprengten unterdessen am Sonntag im Gazastreifen zwei mehrstöckige Wohnhäuser, aus denen in den vergangenen Tagen immer wieder auf sie geschossen worden war. Sie zerstörten neben den so genannten Twin Towers an der Nezarim-Kreuzung noch ein weiteres Gebäude und riegelten das Gebiet ab, wie es in einer Stellungnahme hieß. Die Militärführung warnte die Palästinenser vor weiteren Angriffen gegen jüdische Siedlungen und kündigte an, in diesem Fall sofort zurückzuschlagen. Israelische Kampfhubschrauber griffen einen Hügel in Hebron im Westjordanland an, von dem aus einige Palästinenser jüdische Siedler beschossen hatten. Barak diskutierte während einer Sondersitzung des Kabinetts die Lage in den palästinensischen Gebieten und die Entführung von drei israelischen Soldaten durch die radikalislamische Hamas in Libanon. Die Hisbollah erklärte, sie wolle ihre Gefangenen gegen etwa ein Dutzend Gesinnungsgenossen in israelischen Gefängnissen eintauschen. Mit Blick auf die Lage in den palästinensischen Gebieten und in Libanon sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Ephraim Sneh, Israel sei bereit, an zwei Fronten zu kämpfen. Am Samstagabend traf sich Barak außerdem mit verschiedenen Parteivorsitzenden. Beobachter vermuteten, Barak wolle eine Koalition mit dem rechtsgerichteten Likud-Block eingehen, der sich dem Friedensprozess vehement widersetzt. Eine solche Koalition würde die Wiederaufnahme der Gespräche mit den Palästinensern noch schwieriger machen. Der UN-Sicherheitsrat forderte in einer Resolution am Samstagabend die sofortige Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen und sprach sich für eine eingehende Untersuchung der Kämpfe aus, bei denen mehr als 80 Palästinenser getötet wurden. Er bedauerte die israelische Provokation vom 28. September, womit der demonstrative Besuch des rechten Oppositionsführers Ariel Scharon am Tempelberg gemeint, der die Unruhen ausgelöst hatte. UN-Generalsekretär Kofi Annan äußerte sich ebenfalls besorgt. Die dringlichste Aufgabe sei, den gegenwärtigen Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und das Töten zu stoppen, sagte er. Bei den Unruhen kamen in den vergangenen zehn Tagen 80 Menschen ums Leben, mehr als 1.900 wurden verletzt.