taz, 07.10.2000

Tote nach dem Freitagsgebet

Am "Tag des Zorns" eskaliert nach ruhigem Auftakt doch wieder die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern. Absperrungen reduzieren die Zahl der Teilnehmer am Freitagsgebet und lassen keine Juden auf den Platz vor der Klagemauer

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Bei neuen blutigen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Armee und Polizei sind gestern nach dem traditionellen muslimischen Freitagsgebet in der Jerusalemer Altstadt und in den Palästinensergebieten bis zum späten Nachmittag fünf Palästinenser getötet worden. Unter den Opfern ist auch ein elfjähriger Junge. Über 150 Araber wurden bei den Zusammenstößen vor allem im Westjordanland verletzt.

Die schwersten Ausschreitungen wurden aus Ostjerusalem, Nablus und Tulkarem im Westjordanland gemeldet, wo insgesamt vier Palästinenser meist durch scharfe Schüsse israelischer Soldaten getötet wurden. Ein Demonstrant starb im Gaza-Streifen. Die islamistische Bewegung Hamas hatte für gestern den "Tag des Zorns" ausgerufen.

Zunächst hatte die polizeiliche Evakuierung des Platzes vor der jüdischen Klagemauer neue Eskalationen in der Jerusalemer Altstadt verhindert. Unmittelbar nach dem Freitagsgebet versammelten sich hunderte Palästinenser und warfen vom Tempelberg aus Steine auf den Platz vor der Klagemauer. Gegen den Protest jüdischer Gläubiger hatte die Polizei zuvor den Platz räumen lassen und damit Verletzte unter ihnen verhindert. Konservative Politiker in Jerusalem verurteilten diesen Schritt, der "politisch nicht zu verantworten ist", so Dan Meridor von der Zentrumspartei. "Wir haben unser Ziel erreicht", meinte ein Aktivist der Fatach. "Der Tempelberg ist in palästinensischer Hand."

Rund 20.000 muslimische Gläubige hatten sich zum Freitagsgebet versammelt. Das sind 10.000 weniger als vor einer Woche. Grund dafür ist die Einreisesperre, die Israels Armee über die Palästinenser aus dem Westjordanland verhängt hatte.

In der Jerusalemer Altstadt hielten sich die israelischen Militärs zunächst zurück. An den Eingängen zum Tempelberg kontrollierten Fatach-Aktivisten und Angehörige der Waqf, der Hüter islamischer heiliger Stätten, die zum Beten kommenden Gläubigen. Auf dem Tempelberg sorgten zunächst zahlreiche palästinensische Sicherheitskräfte in zivil für Ruhe. Doch in der Via Dolorosa kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Grenzsoldaten, die sich gegen Abend zuspitzten. Die Israelis schossen mit gummiumhüllten Stahlgeschossen und verletzten zahlreiche Palästinenser.

Der "Tag des Zorns" galt auf israelischer Seite als Prüfung, ob die Palästinenser ihre Verpflichtung einhalten würden, die Unruhen einzudämmen. Auf der politischen Ebene gingen die gegenseitigen Beschuldigungen weiter. Israels Premier Ehud Barak warf in einem Brief an hundert Regierungschefs der Welt der palästinensischen Autonomiebehörde vor, dass in den Medien "Hetze und Hass geschürt wird". Nach dem gescheiterten Gipel in Paris sei er nicht sicher, ob "wir einen Partner für den Frieden haben".

Die internationalen Töne gegen Israel wurden lauter. Frankreichs Staatschef Jacques Chirac und Ehud Barak sollen sich telefonisch beschimpft haben. Barak beschuldigte Chirac, er habe den Palästinenserpräsidenten angestachelt, auf eine internationale Untersuchungskommission zu bestehen. Jassir Arafat hatte den Gipfel in Paris verlassen, ohne die getroffenen Vereinbarungen zu unterzeichnen. Daraufhin boykottierte Barak den Gipfel in Scharm al-Scheich. Der ägyptische Botschafter in Tel Aviv, Mohammed Bassioni, warf ihm vor, damit eine Annäherung beider Seiten verhindert zu haben. Arafat genießt große internationale Zustimmung bei seiner Forderung nach einer Untersuchungskommission. Ungeachtet der Krisenstimmung zwischen Barak und Arafat will US-Präsident Bill Clinton die beiden kommende Woche nach Washington einladen.