junge Welt, 07.10.2000

Interview

Wird Sanktionspolitik bald beendet?

junge Welt sprach mit Dennis Kucinich

* Der US-Amerikaner Dennis Kucinich ist Kongreßabgeordneter der Demokratischen Partei und scharfer Kritiker der Sanktionspolitik gegen Irak

F: Sie unterstützen die Forderung nach einem Ende der UNO- Sanktionen gegen Irak. Wann und warum wurden Sie in dieser Sache aktiv?

Ich glaube, bevor Frieden, Demokratie und Stabilität siegen können, müssen die Iraker lebensnotwendige Güter wie Nahrung, Medizin, ein Dach über dem Kopf und Kleidung bekommen. In den letzten zehn Jahren wurde nicht der irakischen Regierung, sondern der Zivilbevölkerung Iraks massiv geschadet.

F: In welcher Form haben Sie zum Protest gegen die Sanktionen beigetragen?

Am zehnten Jahrestag der Sanktionen habe ich an einer Demonstration in Washington D.C. vor dem Weißen Haus mit Tausenden Sanktionsgegnern teilgenommen. Ich habe außerdem verschiedene Anhörungen zu diesem Thema im US-Kongreß abgehalten und die Situation der irakischen Bevölkerung thematisiert. Drei ehemalige UNO-Mitarbeiter im Irak, Hans von Sponeck, Scott Ritter und Denis Halliday, haben im Juli dazu vorgesprochen. Die Anhörungen wurden von drei weiteren Abgeordneten der Demokratischen Partei unterstützt.

Im April habe ich mit 25 Kollegen einen Brief an Außenministerin Albright geschickt mit der Bitte, das Thema zu diskutieren. Albright reagierte darauf mit der Aussage, die US-Regierung stehe weiterhin hinter den Sanktionen. Im März hatten über 70 Kongreßabgeordnete einen Brief an Präsident Clinton unterzeichnet, der die Forderung nach Lockerung der Wirtschaftssanktionen enthielt. F: Was halten Sie von einer Teilung der Sanktionen in eine Blockade militärischer und ziviler Mittel?

Es gibt eine anhaltende Debatte über Güter des dualen, also des militärischen und zivilen Gebrauchs. Was macht dualen Gebrauch aus? Wieviel eines Gutes wie Chlor ist zu gestatten? Der genannte Brief an Außenministerin Albright thematisierte diese Problematik.

Wir müssen die Prozedur im Auge behalten, nach welcher Methode die UNO Verträge mit dem Irak verbietet oder gestattet. Benon Sevan, Direktor des UNO-Programms im Irak, hat im April darauf aufmerksam gemacht, daß große Teile der zurückgehaltenen Verträge Güter enthalten, die zum Wiederaufbau wichtiger Elektrizitäts- und Wassereinrichtungen nötig sind. Es wurde erreicht, einige dieser Verträge für den Export freizugeben.

Ich denke, es gibt wachsende Kritik an der Ineffektivität des Programms »Öl für Nahrung« (Oil for Food) nicht nur von amerikanischen Nichtregierungsorganisationen, auch von UNO-Mitarbeitern und europäischen Ländern. Der Rücktritt zweier westlicher Mitarbeiter im Irak, Hans von Sponeck und Jutta Burgardt, ist ein deutliches Zeichen dafür, daß das Oil- for-Food-Programm die humanitäre Katastrophe im Irak nicht beendet. Laut von Sponeck erhalten die Menschen unter diesem Programm weniger als 252 US-Dollar im Jahr oder 70 Cent pro Tag pro Person. Das ist in der Tat entmutigend. Der Besuch des Präsidenten Venezuelas in Irak ist ein Beweis dafür, daß führende Politiker anderer Länder sich nicht scheuen, eine abweichende Irakpolitik zu vertreten. Ich denke, es wird Jahre dauern, bevor sich die Situation maßgeblich verbessert. Ich glaube aber nicht, daß die Antisanktionsbewegung durch die Teilaufhebung der Sanktionen geschwächt würde. Im Gegenteil: Die kleinste Verbesserung der Lebensumstände durch die Lockerung der Sanktionen würde bestätigen, daß die Wirtschaftssanktionen schädlich sind für die Bevölkerung, das Regime aber nicht berühren.

F: Sie gehörten zudem zu den stärksten Gegnern des Angriffskrieges der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Ist es nicht so, daß die US-Regierung immer dort nach Demokratisierung ruft, wo sie eine Regierung absetzen will?

Ich denke, amerikanische außenpolitische Handlungen müssen besser kontrolliert werden. Die Situation in anderen Ländern ist oftmals weder im US-Kongreß noch in der Öffentlichkeit bekannt. Bevor eine Politik durchgesetzt wird, ist eine Debatte nötig. Zum Beispiel habe ich gerade einen Zusatz zum Gesetz für die Bewilligung von Geld für Auslandsoperationen zur Debatte gebracht, der die vorgesehenen Mittel für das Kosovo Protection Corps (KPC) untersagen soll. Nicht viele Leute in den USA wissen, daß das KPC schon immer eine Schurkenmacht innerhalb des Kosovo darstellte und auch weiterhin diesen Charakter hat. In Europa waren diese Fakten längst bekannt, was der Grund dafür ist, daß die meisten NATO-Länder das KPC nicht unterstützen. Zur Zeit wird das KPC lediglich von zwei UNO-Mitgliedern finanziert: den USA und Deutschland. Laut einem UNO- Bericht vom 10. Mai 2000 haben die USA zirka fünf Millionen US-Dollar und Deutschland 1,5 Millionen US-Dollar dafür aufgewendet.

F: Wo sehen Sie Parallelen in der US-Politik gegenüber Irak und Jugoslawien?

Ich sehe einschlägige Ähnlichkeiten in der Situation in Irak und Jugoslawien. Es ist an der Zeit, daß die internationale Gemeinschaft ihre Sanktionpolitik verändert und humanitäre Hilfe zuläßt. Wir haben gesehen, daß Sanktionen nicht funktionieren.

Interview: Cathrin Schütz, New York