Frankfurter Rundschau, 6.10.2000

Fortschritte gibt es, wenn auch behutsame

Rot-grüne Asylpolitik

Gastbeitrag von Cornelie Sonntag-Wolgast

Eben haben wir - wie alljährlich in den ersten Oktobertagen - den "Tag des Flüchtlings" begangen; die "Woche des ausländischen Mitbürgers" (heute besser als interkulturelle Woche bezeichnet) liegt hinter uns. Und: Es ist die Zeit der Halbzeitbilanzen. Für die Asyl- und Flüchtlingspolitik sind manche Menschenrechtsorganisationen schnell bei der Hand: Seit Antritt der rot-grünen Koalition habe sich so gut wie nichts verändert. Kanther in Kontinuität, heißt die Devise. Solche Klischees machen das Argumentieren und - zuweilen - Agitieren leicht, die Realität treffen sie nicht.

Natürlich ist es das gute Recht der Flüchtlingslobby, Druck zu machen und Kritik zu üben. Aber ein bisschen Einsicht in das komplizierte Geflecht der Entscheidungsfindung zwischen Bund und Ländern gerade in dieser Frage, ein wenig mehr Verständnis für die notwendige Balance zwischen Reformwillen und gesellschaftlicher Akzeptanz sollte man schon erwarten. Bei genauerem Hinsehen gibt es nämlich durchaus Veränderungen. Zugegeben, behutsame. Die meisten spielen sich unterhalb von Gesetzesänderungen ab. Aber das entspricht auch den Koalitionsvereinbarungen für die Asyl- und Flüchtlingspolitik.

Beispiel "geschlechtsspezifische Verfolgung". Seit langem diskutieren die Parlamentarier, Behördenvertreter, Juristen, Nichtregierungsorganisationen und Frauenrechtler darüber, ob und wie sexuelle Misshandlungen, Quälereien und die Unterwerfung unter Rituale stärker als bisher in die Entscheidung über Asyl-Anträge einbezogen werden können. Da sich in Deutschland Asylbegriff und Rechtsprechung eng daran halten, dass politische Verfolgung dem Staat nachweisbar zuzurechnen ist, fällt das besonders schwer. Immerhin: Es gibt beim "Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" inzwischen 45 speziell geschulte Entscheiderinnen, die bei der Befragung der Frauen besonders sensibel und sachkundig vorgehen. Sie werden jetzt flächendeckend, also in allen Außenstellen des Bundesamtes, eingesetzt und halten Kontakt zu den psychosozialen Zentren.

Die Kooperation mit solchen Zentren wird auf Initiative des neuen Präsidenten des Bundesamtes, Albert Schmid, verstärkt. Er ist es übrigens auch, der mit entsprechenden Dienstanweisungen höhere und konkretere Anforderungen gestellt hat als es die jetzt in Kraft getretenen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz formulieren. Immerhin: Dass geschlechtsspezifische Verfolgung besser als bisher im Asylverfahren beachtet werden soll, ist endlich verbindlich vorgegeben. Und vielleicht kämen wir auch im Interesse der Betroffenen ein Stück weiter, wenn statt von "Geschlechtsspezifischer Verfolgung" von "Geschlechtsspezifischer Menschenrechtsverletzung" gesprochen würde. Das mag den Spielraum für längerfristige Bleiberechtsregelungen erweitern.

Beispiel Traumatisierte: Schon im Mai hat Innenminister Schily schriftlich an seine Kollegen in den Ländern appelliert, den Handlungsspielraum voll auszuschöpfen und diesen Menschen ein längeres Hierbleiben zu ermöglichen. Der Aufruf sollte Wirkung zeigen. Und ist es nicht der Aufmerksamkeit wert, wenn Otto Schily die Absicht äußert, Kirchen und anderen humanitären Organisationen bei der Anerkennung von Asylsuchenden ein Mitspracherecht einzuräumen?

Beispiel Aufenthaltsstatus für ausländische Ehepartner. Das ist nun eine wirkliche Gesetzesneuerung, in der Öffentlichkeit bislang zu wenig gewürdigt. Nicht mehr vier, sondern nur noch zwei Jahre müssen ausländische Ehegatten warten, bis sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten. Und im Härtefall wird auf die Härtefrist verzichtet. Ein deutlicher Schritt im Sinne der Menschenwürde und Selbstbestimmung.

Beispiel Arbeitsverbot für Asylbewerber. Nach langwierigen und zähen Verhandlungen haben sich die zuständigen Ministerien und die Koalitionspartner auf eine deutliche Lockerung verständigt. Nun wird jener Erlass, der allen nach dem 15. Mai 1997 eingereisten Asylbewerbern das Arbeiten untersagte, aufgehoben. Künftig wird es nur noch eine Wartezeit von einem Jahr geben. Traumatisierten soll der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Das ist die Befreiung vom erzwungenen Nichtstun und dient überdies dem inneren Frieden: Einheimischen wird es nicht mehr so leicht fallen, Flüchtlinge und Asylsuchende als Schmarotzer abzuwerten, die es sich angeblich auf Kosten des Steuerzahlers im sozialen Netz bequem machen.

Beispiel "Greencard". Auch wenn es dabei zunächst nur um die Deckung eines akuten Bedarfs an Experten geht: Die Initiative Gerhard Schröders und ihre rasche Umsetzung haben das Klima in dieser Republik einschneidend verändert. Endlich ist einer breiten Mehrheit klar geworden, was längst schon hätte selbstverständlich sein können: dass Zuwanderung gewollt und gewünscht sein kann. Der von den Konservativen standhaft gegen die Lebenswirklichkeit gestemmte Spruch "Deutschland ist kein Einwanderungsland" wirkt heute nicht nur altmodisch, sondern lächerlich. Wichtiger noch: Die neue Diskussion tut dem Verhältnis zwischen Einheimischen und Zuwanderern gut. Wer die "Greencard"-Initiative kleinredet, macht einen großen Fehler.

Und last not least: das "Bündnis für Demokratie und Toleranz". Zur Auftaktveranstaltung am 23. Mai 2000 interessierten sich manche Medien vordringlich für die Kritik einiger Organisationen - allen voran Pro Asyl - wegen angeblich zu geringer Einbeziehung in die Vorbereitungen zu dem Ereignis. Das eigentlich Neue, dass nämlich erstmalig eine Bundesregierung gemeinsam mit Vertretern von Wirtschaft, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Kultur, Medien und Sport eine breite Allianz der Wachsamen und Engagierten gegen Rechtsextremismus, Hass und Gewalt schloss, wurde weniger gewürdigt. Das wäre jetzt, nach einem Sommer der intensiven und sensiblen öffentlichen Auseinandersetzung um Rechtsextremismus, wohl anders.

Im Übrigen erfährt das Bündnis mittlerweile eine breite Resonanz. Tagtäglich melden sich Gruppen und Initiativen, die Neues aufbauen, Bestehendes ausbauen wollen. Sportvereine veranstalten Wettkämpfe gegen Gewalt und für Opfer fremdenfeindlicher Angriffe, Schülerklassen und Jugendzentren laden ein zu Diskussionen. Klar, manches Engagement mag wieder abflauen. Es lebendig zu halten, ist unsere Aufgabe. Aber es ist eine Gemeinschaft derer im Entstehen, die hinschauen, handeln und helfen.

Die Autorin ist SPD-Politikerin und Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium