Süddeutsche Zeitung, 6.10.2000

Tage des Zorns

Die radikale Palästinenser-Organisation Hamas ruft zu bewaffnetem Widerstand auf / Von Heiko Flottau

Kairo - Seit Jahren schon predigt Mahmoud Zahar die selbe Botschaft. Im Hauptberuf ist der Palästinenser Mahmoud Zahar Arzt. In Gaza führt er eine kleine Praxis. Doch einen großen Teil seiner Zeit widmet er seiner politischen Tätigkeit in der, wie sie sich nennt, "islamischen Widerstandsbewegung" Hamas.

"Wir hatten Recht", pflegt Mahmoud Zahar jedes Mal zu sagen, wenn der Friedensprozess wieder einmal in einer Sackgasse zu enden droht. "Wir hatten Recht", sagt er auch diesmal in vielen Interviews und fügt hinzu: "Widerstand ist der einzige Weg." Stets ist die fundamentalistische Hamas den Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis mit schroffer Ablehnung begegnet. Jetzt sieht sie sich in dieser Haltung bestätigt und wagt es, sie wieder lauter zu verkünden. Gerade hat Hamas zu "Tagen des Zorns" aufgerufen. Nach dem Freitagsgebet sollen Palästinenser wieder gegen Israelis zu Felde ziehen. Wie immer die Verhandlungen mit den Israelis ausgehen - Hamas will die Gunst der Stunde nutzen und zu einer neuen Intifada, zu einem neuen Kampf gegen Israel aufrufen.

Der betagte und blinde Hamas-Gründer Scheich Jassin verkündete, dass "bewaffneter Widerstand und heiliger Krieg" die einzige Möglichkeit für die Palästinenser seien, "die kriminellen Zionisten" zu bekämpfen. Und ein anderer Hamas-Führer, Khaled Meshal, erklärte in Teheran, vor der Intifada, wie der gewaltsame palästinensische Widerstand von 1987 bis 1991 genannt wird, habe Israel die Existenz des palästinensischen Volkes nicht einmal zur Kenntnis genommen. Auch der Südlibanon sei durch Krieg, nicht durch Verhandlungen befreit worden; deshalb sei, sagte Meshal, auch für die Palästinenser ein neuer Krieg die einzige Option.

Wie immer, wenn es um Hamas geht, ist Jassir Arafat in der Zwickmühle. Besonders in Gaza mit seiner verarmten Bevölkerung hat die Organisation einen großen Rückhalt. Kommunalwahlen hat Arafat dort auch deshalb immer wieder verschoben, weil er einen Hamas-Sieg fürchtete. Und unter dem Druck von Israelis und Amerikanern war Arafat gezwungen, viele Hamas-Aktivisten ins Gefängnis zu sperren. Um sie zu verfolgen, nahm Arafat sogar die Hilfe der CIA in Anspruch. Viele der sozialen Einrichtungen, welche Hamas fast flächendeckend in Gaza gegründet hat, wurden von Arafats Leuten geschlossen.

Doch in Krisenzeiten wie diesen macht der Taktiker Arafat auch mal eine Wende um 180 Grad. So ließ er jetzt zwölf von ihm inhaftierte Hamas-Mitglieder wieder auf freien Fuß setzen. Damit kommt er der Kampfstimmung in den palästinensischen Gebieten entgegen. Und gibt zu verstehen, dass auch er gewillt ist, die Intifada, wenn nötig, wieder aufzunehmen.

Den zwei Tagen der Staatstrauer, die Arafat ausrief, will sich auch die Hamas anschließen. "In Zeiten der Sorge teilen wir gewisse Ziele", sagt Mahmoud Zahar. "Aber wenn Arafat in den Verhandlungen die Al-Aksa-Moschee hergibt, wird er von allen verurteilt werden." Ein solches Zugeständnis wird der Palästinenserpräsident wohl kaum machen. Für die Kriegstreiber der Hamas wäre dies ein gefundenes Fressen. "Ich denke", sagte Mahmoud Zahar nun vor Journalisten in Gaza, "wir sind jetzt stärker. Arafat ist müde. Wir werden unser Land befreien. Es herrscht richtiger Krieg.