Süddeutsche Zeitung, 6.10.2000

Nach Nahost-Gipfeltreffen in Paris

Israel zieht Panzer aus Unruhegebieten zurück

Barak stimmt Kommission zur Untersuchung der blutigen Ausschreitungen zu / Hamas ruft "Tag des Zorns" aus / Von Heiko Flottau und Thorsten Schmitz

Kairo - Israel und die Palästinenser haben sich auf eine gemeinsame Kommission geeinigt, welche die Ursachen der seit einer Woche andauernden Unruhen in den Palästinensergebieten untersuchen soll. Wie die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich mitteilte, sollen der Kommission voraussichtlich Vertreter der USA, Israels und der Palästinensischen Autonomiebehörde angehören. Zuvor zog Israel seine Panzer in den Autonomiegebieten zurück.

Auf die genaue Zusammensetzung und auf die Arbeitsweise der Kommission haben sich die Verhandlungspartner noch nicht geeinigt. Ägypten hat zwar Vorschläge unterbreitet, über deren Inhalt wurde jedoch nichts bekannt. Auf einer Pressekonferenz in Scharm el Scheich forderte Albright ein Ende der Gewalt, die Untersuchung ihrer Ursachen und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak verlangte einen Sondergipfel der Arabischen Liga noch in diesem Monat. Die Außenminister der 22 Mitgliedsländer sollten so schnell wie möglich einen Termin festlegen, sagte Informationsminister Safwat el Scharif in Kairo. Schwerpunkt des Treffens der Staats- und Regierungschefs solle die Lage in den Autonomiegebieten sein.

Albright weilte auf Einladung Mubaraks in Ägypten. Zusammen mit Jassir Arafat berieten sie im Sinai-Ort Scharm el Scheich über Wege aus der Krise im Westjordanland und im Gazastreifen. Israels Ministerpräsident Ehud Barak war bei dem Treffen nicht anwesend. Er hatte seine Teilnahme abgesagt, nachdem Arafat am Vortag in Paris ein Waffenstillstandsabkommen nicht unterschrieben hatte. Arafat hatte eine Kommission gefordert, welche die Ursachen der Gewalt aufdecken müsse. Eine solches Gremium lehnte Barak zunächst ab.

Die zwischen Arafat und Barak in Paris mündlich vereinbarte Waffenruhe aber ist in den Palästinensergebieten von beiden Seiten weitgehend eingehalten worden. In der Nacht auf Donnerstag gaben israelische und palästinensische Kommandeure Order, die Gewalt einzustellen. Israelische Panzer und die palästinensische Polizei zogen sich auf Befehl zurück. Lediglich an der Netzarim Kreuzung in Gaza sowie in den Westbank-Städten Nablus und Hebron lieferten sich palästinensische Jugendliche kleinere Scharmützel mit israelischen Soldaten. Insgesamt waren in der Nacht auf Donnerstag sieben Palästinenser getötet worden, darunter zwei nahe Netzarim und zwei in Ramallah. Die Zahl der Todesopfer stieg auf 63, die der Verletzten auf 1800. Die israelische Armee rechnet eigenen Angaben zufolge nach den heutigen Freitagsgebeten der Muslime mit Ausschreitungen. Die radikal-islamische Hamas hat zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen.

Baraks Weigerung, an der Fortsetzung der Gespräche mit Arafat und Albright in Ägypten teilzunehmen, wurde in Israel von der größten Oppositionspartei Likud begrüßt. Deren Vorsitzender Ariel Scharon, dessen Tempelberg-Besuch vor einer Woche die Unruhen ausgelöst hatte, wiederholte sein Angebot einer vorübergehenden Koalition der nationalen Einheit.