taz 6.10.2000

Ruhe vor dem "Tag des Zorns"

Israelisches und palästinensisches Militär vereinbaren Deeskalation in den besetzten Gebieten, während Arafat in Scharm al-Scheich auf einer internationalen Untersuchungskommission beharrt. Plant Barak eine große Koalition mit dem Likud-Block?

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Israels Premierminister Ehud Barak hat am Donnerstag an einer Gedenkzeremonie für gefallene Fallschirmspringer teilgenommen, anstatt zu dem geplanten Gipfeltreffen im ägyptischen Scharm al-Scheich zu fahren. Entgegen den Verabredungen vom Vorabend entschied sich der Regierungschef, an dem Treffen von US-Außenministerin Madeleine Albright, Palästinenserpräsident Jassir Arafat und Ägyptens Präsident Husni Mubarak nicht teilzunehmen.

Barak reagierte damit auf die Weigerung Arafats am Vorabend, eine Einigung zwischen den beiden Seiten zu unterzeichnen. Die israelische und palästinensische Seite einigten sich unterdessen über Maßnahmen zur Eindämmung der Gewalt. Das israelische Militär räumte Stützpunkte, an denen es in den jüngsten Tagen zu Auseinandersetzungen gekommen war. Die Zufahrtstraße zu einer jüdischen Siedlung im Gaza-Streifen wurde erneut geöffnet. Beide Seiten wollten zudem auf künftigen Schusswaffengebrauch verzichten.

Ein Sprecher der Armee rechnete damit, dass die Unruhen noch einige Tage andauern werden. Sorge besteht auf israelischer Seite vor allem wegen des Aufrufs der islamisch-fundamentalistischen Hamas, den Freitag als "Tag des Zorns" zu begehen. Vor allem in Jerusalem werden neue Übergriffe befürchtet. Die Polizei will jugendlichen Muslimen den Zugang zum Tempelberg verbieten.

Arafat weigerte sich, eine beidseitige Verpflichtung zur Eindämmung der Gewalt zu unterzeichnen, weil die Israelis seine Forderung nach einer internationalen Untersuchungskommission abgelehnt hatten. "Wie kommt er nur auf die Idee, dass Israel dieser Forderung nachkommen würde?", kommentierte die liberale Tageszeitung Maariv am Donnerstag. Barak werde niemals zustimmen, dass juristische Schritte gegen Offiziere der israelischen Armee und Polizei eingeleitet werden.

Die Zeitung spekuliert, dass Barak versuchen wird, "innerhalb von einigen Wochen" ein Abkommen zu erreichen, was jedoch nur "mit scharfem amerikanischem Druck, vielleicht sogar Sanktionen" machbar sein wird. In Jerusalem wird gemutmaßt, dass Barak in den kommenden Wochen eine nationale Einheitsregierung anstreben wird, wenn sich herausstellen sollte, dass er keinen Partner für eine Lösung habe. Die Opposition hatte wiederholt den Abbruch sämtlicher Kontakte zu den Palästinensern gefordert.

Im Anschluss an die Gespräche in Paris beschuldigte ein führendes israelisches Delegationsmitglied den französischen Präsidenten Jacques Chirac, auf Arafat eingewirkt zu haben, die Einigung nicht zu unterzeichnen. Zwischen Chirac und Barak war es auch am Donnerstag zu erneuten Unstimmigkeiten gekommen. Der französische Präsident erklärte, dass rückblickend angesichts der Opferbilanz zu erkennen sei, wer für die Auseinandersetzungen verantwortlich sei. Barak konterte, das sei eine Aufforderung zur Fortsetzung der Gewalt. Umgekehrt hatten die Palästinenser zuvor dem Franzosen vorgeworfen, Barak sei es gelungen, "ihn zu kaufen". In einem Interview mit Le Monde hatte die palästinensische Delegierte Leila Schahid erklärt, dass Barak und seine Delegation bei den Europäern erfolgreiche Propaganda betrieben hätten.

Bei einer Pressekonferenz in Anschluss an den Gipfel in Ägypten zeigte sich die US-Außenministerin wenig optimistisch. Beide Seiten hätte sich zwar verpflichtet, die Zusammenstöße zu beenden. Dennoch sei es "keine leichte Reise", so Albright. Die USA wollen den Vorsitz in einer trilateralen Kommission zur Lösung der Sicherheitsfragen übernehmen.