Die Welt, 05.10.2000

Müller, Mullahs und die Milliarden

Nach der Iran-Reise des Wirtschaftsministers winken Großaufträge für deutsche Unternehmen

Von Peter Dausend

Teheran - Der Herr Minister macht es kurz. In seiner leicht behäbigen, gedehnten Art, die einen immer zweifeln lässt, ob Werner Müller nun souverän in sich selbst ruht oder einfach nur etwas langweilig ist, sagt der Bundeswirtschaftsminister das, was Politiker immer sagen, wenn sie soeben irgendwo eingetroffen sind: Er freue sich, da zu sein. "Da" ist in diesem Fall die iranische Hauptstadt Teheran, genauer gesagt die Residenz des deutschen Botschafters. Hier, zwischen Palmenwedeln, Rokoko-Schränkchen und dem Klavier mit dem Foto von Helmut Kohl drauf, haben sich die Vertreter der deutschen Wirtschaft im Iran versammelt, um den Minister für seine Gespräche mit der Führung des Landes zu präparieren. Also will Müller, wie er sagt, auch keine große Rede halten, sondern den Versammelten die Gelegenheit geben, "jetzt all das zu sagen, was ihnen am Herzen liegt". Nicht viel anscheinend. Schweigen unter Palmen - bis sich, nach scheinbar endlosen Sekunden ein Siemens-Manager erbarmt. Oh je, denkt da der Betrachter, wenn die Macher vor Ort ähnlich dynamisch ihre Geschäfte anpacken, wie sie sich an diesem Abend präsentieren, kann es um die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen nicht gerade gut bestellt sein. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Nicht Dynamik, Beharrlichkeit war die Grundtugend, die deutsche Unternehmer im Iran in der Vergangenheit beweisen mussten. Denn seit Anfang der neunziger Jahre gingen die Geschäfte kontinuierlich zurück. Von rund neun Milliarden Mark Gesamtvolumen auf knapp ein Drittel. Politische Spannungen vom Mykonos-Anschlag 1992 bis zur Festnahme Helmut Hofers 1999 führten zu einer Eiszeit im deutsch-iranischen Verhältnis, die auch die Geschäfte einfrieren ließ.

Doch jetzt ist Tauwetter angesagt. Seit die Reformer um Präsident Mohammed Chatami im iranischen Gottesstaat immer mehr Einfluss gewinnen, boomen auch wieder die Handelszahlen. Bis Juni 2000 stiegen die iranischen Exporte nach Deutschland um über 40 Prozent, die deutschen Ausfuhren in den Iran um nahezu 25 Prozent. Und seit dem Chatami-Besuch in Deutschland im Juli dieses Jahres erleben die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen, wie ein Manager in Teheran sagt, "einen weiteren enormen Push". Als Folge davon erhöhte die Bundesregierung den Hermes-Kreditrahmen der Iraner von 200 Millionen auf eine Milliarde Mark.

Müller, der sich gerne als "erster Vertreter der deutschen Wirtschaft" sieht und keine Schwierigkeiten damit hat, als Türöffner für deutsche Unternehmen zu fungieren, kam also gerade zur rechten Zeit, um einen Beitrag zu leisten, damit sich der Push in eine stete Aufwärtsentwicklung verwandelt. Das scheint ihm, Timing ist alles, zunächst auch gelungen. Im Rahmen seines Besuches wurde bekannt, dass verschiedene deutsche Unternehmen demnächst mit Milliardenaufträgen rechnen können. So hat zum Beispiel ein Konsortium aus Philipp Holzmann, Lahmeyer und Voith-Siemens den Auftrag für ein Staudammprojekt im Wert von knapp einer Milliarde Mark so gut wie sicher. Der Babcock Borsig AG werden beste Chancen eingeräumt, beim Bau von insgesamt zwölf Öl- und Gaskraftwerken in einem Gesamtvolumen von rund zwei Milliarden Dollar beteiligt zu werden. Die Emdener Firma Cassens hat bereits einen Auftrag in der Tasche. Sie wird für 210 Millionen Mark vier Schiffe bauen. Doch auch viele Mittelständler profitieren von der Aufbruchstimmung. Und so werden demnächst so nützliche Gegenstände wie Motorenkolben, Aluminiumfelgen, Leichtmetallräder und Kloschüsseln ihren Beitrag dazu leisten, den Iran in die Moderne zu führen.

Dass das Land der Mullahs längst auf dem Weg dorthin ist, davon wissen die deutschen Unternehmensvertreter in Teheran zu berichten. Gradmesser hierfür ist das Kopftuch. Noch vor wenigen Jahren wurden Frauen von der Polizei fortgeschleppt, wenn nur der Haaransatz darunter zu sehen war. Jetzt rutscht es, Zentimeter für Zentimeter, immer weiter in den Nacken und gibt den Blick frei auf Gesichter, die oftmals nicht weniger geschminkt sind als die von Frauen in Paris oder Berlin. Dazu Sonnenbrillen, lackierte Fuß- und Fingernägel oder der gerade Blick in die Augen von Ausländern - was vor kurzem noch undenkbar war, ist nun Alltag auf Teherans Straßen. Und das, so meint ein Iran-erfahrener deutscher Unternehmer, sei erst der Anfang. Die Jugend habe die Gängelei durch die Mullahs "gewaltig satt", dränge auf Veränderung und erweitere ihre Freiräume, indem sie, peu à peu, neue Fakten schaffe. Und da im Iran rund 70 Prozent der Bevölkerung jünger als 30 Jahre seien, herrsche ein "enormer Modernisierungsdruck" durch die Jugend. Diese lebt hinter verschlossenen Türen bereits in einer Art Parallelwelt zum streng reglementierten Dasein in der Öffentlichkeit. "Nirgends", so weiß eine junge Iranerin zu berichten, "werden so freizügige Partys gefeiert wie bei uns." Und noch eine ungewöhnliche Mutation setzt ein, sobald Teherans Türen zufallen: Deutsche Manager verwandeln sich in subversive Elemente. Eine Stadtguerilla in Nadelstreifen geht dann auf Kreuzzug gegen die Macht der Mullahs. Ziel ist allerdings weniger der politische Umsturz als das private Vergnügen - was im Iran jedoch näher beieinander liegt als anderswo. In ihren eigenen vier Wänden verstoßen die deutschen Wirtschaftspioniere in schöner Regelmäßigkeit gegen die Gesetze des iranischen Gottesstaates: Sie brauen ihr eigenes Bier, sie keltern ihren eigenen Wein, sie drehen ihre eigenen Zigarren - und treffen sich dann zum gemeinsamen Vernichten der so mühsam angelegten Vorräte. Kein Wunder, dass Minister Müller bei ihnen gut ankommt. Schließlich hat der einmal auf die Frage, was denn das größte Unglück sei, das ihm widerfahren könnte, geantwortet: "Dass ich nach Hause komme, und es ist kein Bier im Kühlschrank."

Müller, so sagt einer der deutschen Unternehmensvertreter vor Ort, sei ein "guter Mann", der jetzt genau das Richtige täte. Es sei "ungeheuer wichtig", dass nach dem Chatami-Besuch "jetzt der Gesprächsfaden nicht abreist". Mit so viel Lob und der Aussicht auf gute Geschäfte im Gepäck könnte Müller, der Türöffner, eigentlich zufrieden nach Hause zurückkehren - wenn da nur nicht Hans-Olaf Henkel wäre. Der BDI-Chef stand an der Spitze der mehr als 60-köpfigen Wirtschaftsdelegation, die den Minister zu den Mullahs begleitete. Müller und Henkel, ähnlich herzlich verbunden wie Fundamentalisten und Reformer im besuchten Land, konnten selbst fern der Heimat gegenseitige Sticheleien nicht unterlassen. Das sei ja alles schön und gut mit der flankierenden Unterstützung der Wirtschaft durch die Politik im Ausland, sagte beispielsweise Henkel. Aber viel wichtiger sei doch, dass der Herr Minister dafür sorge, dass zu Hause die Hindernisse weggeräumt würden, die einem vernünftigen Wirtschaften entgegenstünden. Als bei der abschließenden Pressekonferenz der Dolmetscher fälschlicherweise als Stellvertreter des iranischen Wirtschaftsministers vorgestellt wird, sieht Müller die Gelegenheit für eine kleine Rache. "Und das", sagt er und legt den Arm um einen einfrierenden Henkel, "das ist auch nicht mein Stellvertreter." Schöner Konter - ein Langweiler kommt auf so was nicht.